Beispielhaft: Die historische Fakultät der Universität Luzern
Herausragend ist das Engagement der historischen Fakultät der Unversität Luzern in der Schweiz. Schon bei den Recherchen für das Buch „Unsere Opfer zählen nicht“ hatte Recherche International e.V. Kontakt zu Professor Aram Mattioli, der dort zeitgenössische Geschichte lehrt und dem die wichtigsten deutschsprachigen Publikationen zur italienischen Invasion in Äthiopien zu verdanken sind, mit der 1935 der Zweite Weltkrieg in Afrika begann.
Von Professor Mattioli eingeladen konnte Karl Rössel von Recherche International 2008 das Buch „Unsere Opfer zählen nicht“ in Luzern auf einer gemeinsamen Veranstaltung von Universität und Pädagogischer Hochschule Luzern vorstellen. Unter den mehr als 100 ZuhörerInnen waren mehrere ProfessorInnen, AssistentInnen und zahlreiche GeschichtsstudentInnen und zum Abschluss der Veranstaltung erklärte der Dekan der Pädagogischen Hochschule, Professor Kurt Messmer, dass es für alle Lehrenden und Lernenden von Uni und PH in Luzern zu einer Verpflichtung werden sollte, sich intensiver mit der Rolle der Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg zu beschäftigen.
Das waren keine leeren Worte, denn auf seine Initiative hin wurde Karl Rössel 2009 zu einem weiteren Referat auf der Jahrestagung des „Geschichtslehrpersonenvereins“ aus dem Kanton Luzern eingeladen. Im Anschluss an diese Veranstaltung entstand die Idee, die (Wander-)Ausstellung zum Thema im Frühjahr 2011 nach Luzern zu holen und dort im Historischen Museum zu zeigen.
Auch bei der Realisierung dieser Idee und bei der Entwicklung des Begleitprogramms zur Ausstellungspräsentation bewies die historische Fakultät der Universität Luzern ein außergewöhnliches Engagement.
So wurde die Ausstellung in Luzern um eine lokales Kapitel ergänzt, das an algerische Spahis erinnert, die im Zweiten Weltkrieg aus Frankreich vor der Deutschen Wehrmacht in die Schweiz geflohen und in Triengen, einem Dorf nahe Luzern, interniert worden waren. Manuel Menrath, Assistent am historischen Seminar der Universität und Hauptorganisator der Ausstellungspräsentation in Luzern, hatte über die Begegnungen der Schweizer Dorfbevölkerung mit den afrikanischen Soldaten ein Buch publiziert und zwei Dutzend StudentInnen gestalteten mit seiner Hilfe eine eindrucksvolle Ergänzung zur Ausstellung im Museum.
Die Universität war in Luzern offiziell Veranstalter der Ausstellungspräsentation.
Das Plakat hing überall in der Hochschule und prangte auch auf dem Titel des Vorlesungsverzeichnisses der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät.
Raffael Fischer, Assistent am historischen Seminar, kreierte eine eigene Internetseite zum Ausstellungsprojekt für die Schweiz.
Und zusammen mit der Pädagogischen Hochschule publizierte die Universität anlässlich der Ausstellungspräsentation umfangreiche eigene Unterrichtsmaterialien über „Koloniale Spuren in der Schweiz“.
Damit nicht genug, wurden an der Universität Luzern zahlreiche Lehrveranstaltungen mit thematischen Bezügen zur Ausstellung angeboten.
Darunter waren u.a. eine Vorlesung von Prof. Aram Mattioli über „die Geschichte des europäischen Rassismus“ und ein Hauptseminar über „moderne afrikanische Geschichte im Film“ sowie ein Proseminar von Manuel Menrath über verdrängte Geschichten (das mit ca. 70 StudentInnen völlig überfüllt war).
(Das Vorlesungsverzeichnis der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultär für das Sommersemester 2011 findet sich hier.)
Karl Rössel war von der historischen Fakultät eingeladen, ein Blockseminar mit Besuchen in der Ausstellung zu halten zum Thema: „Der japanische Krieg in Asien und Ozeanien und seine nachhaltigen Folgen bis in die Gegenwart“. Da dieses Seminar an zwei Wochenenden stattfand war der Teilnehmerkreis nicht so groß, aber einige StudentInnen wollten danach vertiefende Arbeiten zu Teilaspekten des Themas schreiben.
(Das Programm des Blockseminars findet sich: hier)
StudentInnen der Universität organisierten zudem Führungen für Schulklassen durch die Ausstellung und die Filmgruppe „Unilux“ präsentierte ein cineastisches Begleitprogramm im Foyer des Historischen Museums.
Darüber hinaus gab es von Anfang April bis Ende Mai 2011 eine Ringvorlesung zum Thema „Europas Afrika – Postkoloniale Spurensuche“, veranstaltet in Kooperation mit der Seniorenuniversität,
Bei der Auftaktvorlesung von Karl Rössel „Verdrehte Geschichte – Die Ausblendung der Dritten Welt aus der Historiographie des Zweiten Weltkriegs am Beispiel Afrika“ war an einem Dienstagnachmittag der größte Saal der Universität mit mehr als 350 Interessierten völlig überfüllt. (Die Vorlesung ist nachzulesen hier).
Auch die folgenden Veranstaltungen waren ähnlich gut besucht. U.a. referierten Prof. Aram Mattioli (Der Abessinienkrieg – Ein vergessenes Schlüsselereignis der Weltkriegsepoche), Manuel Menrath (Zentralschweizer Afrika-Vorstellungen vor dem Zweiten Weltkrieg) und Prof. Raffael Scheck aus den USA (Zwischen Massaker und Menschlichkeit – Die Behandlung der schwarzen französischen Kriegsgefangenen durch die deutsche Wehrmacht, 1940-1945).
Das gesamte Begleitprogramm der Universität Luzern zur Ausstellung findet sich hier.
Es zeigt beispielhaft, wie eine engagierte Auseinandersetzung mit dem Thema auch in Forschung und Lehre an Hochschulen aussehen kann. Recherche International hofft, dass auch deutsche Universitäten dadurch angeregt werden, sich ähnlich engagiert und ernsthaft mit der Rolle der Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen und mit den historischen und politischen Schlussfolgerungen, die sich daraus für den Umgang mit Menschen aus Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika bis in die Gegenwart ergeben bzw. ergeben sollten.