Redebeitrag am 8. Mai 2010 im Sitzungssaal des historischen Rathauses Osnabrück zur Eröffnung der Ausstellung
von Karl Rössel (Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e.V., Köln)
«Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs erweist sich, wie jede Geschichte, als die der Sieger, aber auch als die der Besitzenden und Wohlhabenden. Deutschland und Japan gehören trotz ihrer militärischen Niederlage in der Geschichtsschreibung zu den Siegern, denn auch wenn die Historiographie in den beiden Ländern eine kritische Befragung und Korrekturen hinnehmen musste, werden sie doch als Menschen gleichen Ranges wahrgenommen. Diejenigen aber, die nach dem Krieg vergessen wurden, als ob sie während des Krieges gar nicht existiert hätten, die mit ihren eigenen Kindern die Geschichte neu erlernen müssen, ohne eigene Taten in dieser Geschichtsschreibung wiederzufinden, gehören zu den eigentlichen Verlierern. Verlierer und ohne eigene Stimme, so leben bis heute noch Hunderte Millionen Menschen mit ihren Nachkommen in Afrika, Asien, Lateinamerika, in Australien und in der Pazifikregion…»
Diese Zitat stammt von Professor Kuma Ndumbe, Politikwissenschaftler aus Kamerun, und ist im Epilog der Ausstellung nachzulesen, die wir heute eröffnen. Es verweist darauf, dass die Kolonialherren und ökonomisch dominanten Mächte nicht nur die Geschichte des Zweiten Weltkriegs bestimmt haben, sondern auch die anschließende Geschichtsschreibung darüber.
Tatsächlich war die Welt, als der Krieg begann, noch weitgehend kolonialisiert und alle kriegführenden Mächte nutzen Kolonien für ihre militärischen Zwecke.
Als größte Kolonialmacht verfügte Großbritannien – mit den noch bestehenden und den Dominions (den ehemaligen, eng verbündeten Kolonien) – über ein Imperium, das ein Viertel der Erde mit einem Viertel der Weltbevölkerung umfasste. Die französischen Kolonien waren zwanzig mal größer als das «Mutterland» und hatten 100 Millionen Einwohner. Die Fläche Niederländisch-Indiens (heute: Indonesien) entsprach der Westeuropas. Die USA beherrschten die Philippinen und von Inseln wie Hawaii und Amerikanisch Samoa weite Teile des Pazifiks.
Japan kontrollierte mit Mikronesien den Norden des Pazifiks sowie die koreanische Halbinsel, Formosa und die Mandschurei. Die faschistische Regierung Mussolinis herrschte in Ostafrika über ein Kolonialgebiet, das um ein Vielfaches größer war als Italien.
Deutschland hatte seine Kolonien in Afrika und im Pazifik zwar nach dem Ersten Weltkrieg an die Siegermächte abtreten müssen. Doch ihre Rückgewinnung gehörte zu den erklärten Kriegszielen der Nazis. Und mit Hilfe der Kollaborationsregierung von Vichy konnte auch das NS-Regime ab 1940 auf Rohstoffe, Arbeiter und Soldaten aus den französischen Kolonien in West- und Nordafrika sowie in Indochina zugreifen.
In der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg setzt sich diese koloniale Haltung bis heute weiter fort. «Die Forscher aus den wohlhabenden Staaten», so der Kameruner Professor Kuma Ndumbe, «unterliegen bewusst oder unbewusst einem stillen Rassismus, der sie dazu führt, Geschehnisse außerhalb ihres eigenen ‚Wohlstandszentrums’ als wenig relevant für ihre Arbeit zu betrachten. So entsteht eine Literatur über den Zweiten Weltkrieg, die sich hauptsächlich mit den reichen Nationen befasst. Wer die Mittel besitzt, bestimmt auch die Themen, Theorien und Richtungen der Forschung. Opfer aus der Peripherie zählen deshalb nicht. Und die Opfer selbst lesen und lernen die von den Zentren der Wohlhabenden veröffentlichte und weltweit verbreitete Literatur zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und erkennen ihre eigene Geschichte darin nicht wieder.»
Das erweist sich einmal mehr am heutigen Tag, dem 8. Mai, der als Datum zur Eröffnung der Ausstellung gut gewählt wurde. Schließlich jährt sich das Kriegsende heute zum 65. Mal – wenn auch nur in Europa! Aber wenn Sie heute die Zeitungen aufschlagen, Kommentare im Radio oder Fernsehen anlässlich dieses Jahrestags hören oder ins Internet schauen, werden Sie zahllose Beiträge finden, in denen es heißt, dass am 8. Mai 1945 «der Zweite Weltkrieg endete». So fand ich heute morgen im Kölner Stadt-Anzeiger die Meldung: «Bundespräsident Norvert Lammert (CDU) hat zum 8. Mai an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern. ‚Es war ein Tag der Befreiung für alle‘, sagte Lammert im Parlament in Berlin.» Im Kulturteil der taz von heute steht: «65 Jahre ist der Krieg vorbei.» Und die «Neue Osnabrücker Zeitung» schreibt auf der Titelseite: «Am 8. Mai 1945 erklärten Vertreter der Detuschen Wehrmacht die Kapitulation. Damit ging heute vor 65 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende.» Und in dem Artikel dazu auf Seite 3 heißt es: «Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg offiziell zu beendet.» Und daneben steht in einer «Erzählnachricht für Kinder»: «Fast sechs Jahre dauerte der Zweite Weltkrieg. Er begann am 1. September 1939, als Deutschland Polen überfile… Am 8. Mai 1945 sagten die Deutschen zu den Engländern, Franzosen, Amerkanern und Russen: Ihr habt gewonnen. Damit war der Krieg endlich vorbei.»
Diese Rückblicke auf den 8. Mai 1945 mögen gut gemeint sein, sind jedoch historisch allesamt falsch, weil der Krieg außerhalb Europas noch Monate lang weiter geführt wurde.
Schließlich fielen die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki bekanntlich im August 1945 und die japanische Kapitulation folgte erst im September, wobei versprengte japanische Einheiten auf manchen pazifischen Inseln selbst danach noch weiter kämpften.
Auch in die Geschichtsbücher Afrikas ist der 8. Mai 1945 keineswegs als «Tag der Befreiung» eingegangen, sondern als Tag des Gedenkens an eines der größten Massaker in der Kolonialgeschichte.
Heute vor 65 Jahren fanden auch in Algerien Umzüge zur Feier des Kriegsendes in Europa statt. Schließlich hatten Zehntausende Algerier in diesem Krieg unter dem Kommando ihrer französischen Kolonialherren für die Befreiung Europas gekämpft. Viele hofften deshalb, dass nun auch den Kolonien endlich Freiheit und Selbstbestimmung zugestanden würden, wie es die Alliierten in ihrer «Atlantik-Charta» versprochen hatten. In der Kleinstadt Sétif tauchte deshalb bei der Siegesfeier am 8. Mai neben französischen, englischen und US-amerikanischen Fahnen auch eine algerische auf. Als der Umzug vor dem «Café de France» ankam, sah der Zeitzeuge Lamri Bouras, dass ein französischer Kommissar «seinen Colt zog und in die Menge schoss. Weitere Schüsse wurden von den Balkons abgefeuert.» Schon an diesem Tag gab es Hunderte Tote und die Proteste der arabischen Bevölkerung gegen das Gemetzel dehnten sich danach rasch auf die gesamte Provinz aus. Die französische Kolonialverwaltung reagierte darauf mit Einsätzen der Luftwaffe und der Marine. «Die Soldaten schossen auf alles,» erinnert sich Haada Mani. «Die Leute fielen wie trockene Weintrauben.»
Nach Angaben der französischen Kolonialbehörde kamen bei den Massakern 1.500 Menschen ums Leben, algerische Quellen sprechen von bis zu 45.000 Opfern.
In Frankreich ist der 8. Mai heute ein nationaler Feiertag: In Algerien wird er als «Tag der Trauer» begangen. Aber welche Zeitung, welche Radiosendung und welcher Fernsehkommentar hierzulande erinnert heute an die Opfer des 8. Mai 1945 in Algerien?
Damit sind wir beim Thema der heute eröffneten Ausstellung.
Darin werden Sie eine Tafel mit Fotos und Aussagen von Zeitzeugen zu den Ereignissen vom 8. Mai 1945 in Algerien finden und viele historische Fakten mehr, die von der hiesigen Geschichtsschreibung über sechseinhalb Jahrzehnte vergessen, verdrängt und verschwiegen wurden.
Der Weg bis zur Realisierung dieser Ausstellung war lang und führte uns rund um den Globus. In 30 Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens haben wir Stimmen, Erfahrungen und Meinungen von Menschen gesammelt und aufgezeichnet, die zur Befreiung der Welt vom deutschen und italienischen Faschismus und vom japanischen Großmachtwahn beigetragen haben.
Der Ausgangspunkt dieses Projekts liegt zeitlich fast ein Vierteljahrhundert zurück. Es war Mitte der achtziger Jahre, als wir im Rheinischen Journalistenbüro in Köln, einem Kollektiv freier Journalisten, in dem ich noch heute arbeite, an einem Buch über die Geschichte der Dritte Welt-Bewegung in der Bundesrepublik arbeiteten. Nach seinem Erscheinen 1986 haben wir es damals übrigens auch in Osnabrück vorgestellt und die «Osnabrücker 3.Welt Schriften» publizierten damals einen Beitrag von uns über die bundesdeutsche Solidarität mit sozialistischen Entwicklungsländern.
Unser Buch trug den Titel «Hoch die internationale Solidarität» und es beschreibt die Konjunkturen der hiesigen Solidaritätsarbeit: von der Unterstützung des algerischen Befreiungskampfes in den 1950er Jahren über die Protestbewegungen gegen den Vietnam-Krieg und den Militärputsch in Chile in den 60ern und 70ern bis zur Unterstützung der Sandinisten und den Kampagnen gegen das südafrikanische Apartheid-Regime in den 1980er Jahren.
Bei den Arbeiten an diesem Buch war uns aufgefallen, dass sämtliche Aktionsformen, die Initiativen hierzulande in Solidarität mit Ländern und Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt einsetzen, während des Zweiten Weltkriegs umgekehrt in Ländern der Dritten Welt praktiziert worden waren, um den antifaschistischen Widerstand in Deutschland und Europa zu unterstützen. So gab es z.B. in den 1930er Jahren in Buenos Aires und Manila Boykottkampagnen gegen deutsche und italienische Waren, so wie später zu Südafrika. Der Aufruf «Waffen für El Salvador», mit dem Solidaritätsgruppen hierzulande Sammlungen für die dortige Befreiungsbewegung durchführten, hatte einen Vorläufer in Kuba, wo Arbeiter während des Zweiten Weltkriegs unter dem Motto «Waffen für die Rote Armee» Geld für die antifaschistische Kriegsallianz in Europa sammelten. Und während die Nicaragua-Solidarität Kaffee-Brigadisten nach Mittelamerika schickte, waren Ende der 1930er Jahre Brigadisten aus Afrika, Asien und Lateinamerika nach Spanien gekommen, um mit der Waffe in der Hand gegen den drohenden Faschismus zu kämpfen. 1944 hatten nahezu alle Länder der Dritten Welt, die bereits unabhängig waren, Deutschland den Krieg erklärt und sämtliche Kolonien, die es damals noch gab, waren in den Krieg mit einbezogen.
Fakten wie diese erwähnten wir damals in die Einleitung unseres Buchs über die hiesige Dritte-Welt-Bewegung, um darauf zu verweisen, dass internationale Solidarität historisch keineswegs nur einseitig, vom Norden für den Süden, geübt wurde, sondern während des Zweiten Weltkriegs vielerorts unter Einsatz ungleich höherer Opfer umgekehrt praktiziert worden war.
In diesem Kontext wollten wir Mitte der 1980er Jahre auch an die Soldaten aus der Dritten Welt erinnern, die im Zweiten Weltkrieg für unsere Befreiung gekämpft hatten. Wir waren bei unseren Recherche-Reisen in Afrika, Asien und Ozeanien immer wieder auf Veteranen getroffen, die uns von ihren Kriegserlebnissen erzählt hatten. Auch in afrikanischen Filmen und asiatischen Romanen waren wir auf das Thema gestoßen. Als wir jedoch damals nachschlagen wollten, wie viele (Kolonial-) Soldaten im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gekämpft hatten, fanden wir in der hiesigen Literatur nicht eine einzige zuverlässige Angabe darüber.
Auch die Opfer aus der Dritten Welt kamen in den Statistiken über den Zweiten Weltkriegs in hiesigen Geschichtsbüchern schlichtweg nicht vor.
In diesen waren stets die sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocausts aufgelistet und unter den Kriegstoten die mehr als 20 Millionen Opfer in der Sowjetunion sowie die ca. 5,5 Millionen in Deutschland, gefolgt von Opferzahlen aus Frankreich, Großbritannien, Italien, den USA und Japan, manchmal bis hin zu den 1.600 Toten in Dänemark.
Aber über Kriegsopfer in der Dritten Welt fand sich nichts. Diese Ausblendung weiter Teile der Welt in der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg empfanden wir als so ungeheuerlich, dass wir uns vornahmen, den Versuch zu unternehmen, daran etwas zu ändern.
Ab 1996 haben wir die Recherchen zu diesem Thema systematisiert und seitdem bei allen journalistischen Reisen nach Afrika, Asien und Ozeanien Interviews mit Zeitzeugen und Historikern geführt, Biographien von Veteranen gesammelt, Dokumentar- und Spielfilme zum Thema, Romane und Sachbücher, Fotos, Archivmaterialien und historische Dokumente.
Dabei zeigte sich schnell, dass die hierzulande vergessene Beteiligung der Dritten Welt am Zweiten Weltkrieg in den betroffenen Ländern selbst sehr präsent und teilweise bereits erstaunlich systematisch aufgearbeitet war.
So gibt es z.B. in nahezu jeder größeren afrikanischen Stadt ein Haus, in dem sich Veteranen aus den Kolonialarmeen treffen. In den ehemals französischen Kolonien heißen diese Treffpunkte «Maison d’anciens combattants», in den britischen «Veterans-Clubs».
Am Rande der philippinischen Hauptstadt Manila fand sich ein soziales Zentrum für ehemalige Partisanen, die gegen die japanischen Besatzer gekämpft haben. In vielen asiatischen Ländern gibt es auch Selbstorganisationen von Frauen, die im Zweiten Weltkrieg von der japanischen Armee in deren Militärbordelle verschleppt worden waren, und die heute in einem internationalen Netzwerk zusammen arbeiten, um Entschuldigungen und Entschädigungen von der japanischen Regierung zu fordern.
Bei der Begleitveranstaltung zur Ausstellung am 18. Juni in der Volkshochschule Osnabrück mit Nataly Jung-Hwa Han vom Korea-Verband und dem japanischen Fotografen Tsukasa Yajima können Sie Hintergrundinformationen über die Aktivitäten dieser asiatischen Initiativen aus erster Hand erfahren.
In Ozeanien, um noch ein Beispiel aus der Pazifikregion zu nennen, haben Historiker der Universität des Südpazifiks schon in den achtziger Jahren Oral-History-Konferenzen über Kriegserfahrungen von Insulanern durchgeführt, die in umfangreichen Publikationen in Englisch und Pidgin dokumentiert sind. Allein auf den Inseln Vanuatus hatten einheimische Feldforscher über Jahre hinweg Hunderte von Interviews mit Zeitzeugen über den Zweiten Weltkrieg aufgezeichnet, die auf Kassetten im Archiv des Kulturzentrums in der Inselhauptstadt Port Villa lagern, und die ich dort auswerten durfte.
Überall, wo wir recherchierten, trafen wir Zeitzeugen, die uns bereitwillig von ihren Erfahrungen berichteten und uns darum baten, diese endlich auch in den Ländern bekannt zu machen, die den Krieg verschuldet und geführt hatten.
Wir haben uns bei der Arbeit an diesem Projekt von Anfang an als Übersetzer und Vermittler dieser vergessenen Befreier und Zeitzeugen verstanden. Deshalb sind Hörstationen mit Original-Aufnahmen von Zeitzeugen aus verschiedenen Kontinenten ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung. So weit irgend möglich haben wir in den jeweiligen Ländern auch einheimische Historiker zu Rate gezogen. Wir wollten keine Geschichtsschreibung aus weißer, europäischer Sicht, sondern haben z.B. Joseph Ki-Zerbo in Burkina Faso besucht, der in den 1960er Jahren die erste Geschichte Afrikas aus afrikanischer Sicht geschrieben hatte und der beim Interview in Ouagadougou den Zweiten Weltkrieg als «größten historischen Einschnitt für Afrika seit dem Sklavenhandel» bezeichnete. Sie finden das Zitat in der Afrika-Abteilung der Ausstellung.
In Manila trafen wir Ricardo Trota José von der Universität der Philippinen, der seit Jahren zu den Folgen der japanischen Besatzungszeit in den Jahren 1942 bis 1944 forscht und uns das erschreckende Ergebnis mitteilte, dass in seinem Land jeder 16. im Zweiten Weltkrieg umgekommen ist, insgesamt 1,1 Millionen Menschen.
In Hongkong führte uns der chinesische Historiker Tim Ko durch ein Museum über die Kriegsjahre unter japanischer Besatzung. Und aus Nanking brachte uns eine befreundete Sinologin Augenzeugenberichte von Überlebenden des Massakers mit, bei dem die japanischen Truppen innerhalb weniger Wochen mehr als 300.000 Chinesinnen und Chinesen abschlachteten. Berichte, die wir im Rahmen unseres Projekts erstmals ins Deutsche übersetzen ließen.
Das Massaker von Nanking ereignete sich schon Ende 1937, Anfang 1938, also zu einem Zeitpunkt, zu dem nach hiesiger Lesart der Zweite Weltkrieg noch gar nicht begonnen hatte. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die historischen Koordinaten, mit denen der Zweite Weltkrieg hierzulande beschrieben wird, äußerst fragwürdig, wenn nicht sogar falsch sind – so auch die Terminierung des Kriegsbeginns.
Denn der 1. September 1939 markiert lediglich den Kriegsbeginn in Europa. Nicht nur in Asien war er zu diesem Zeitpunkt längst im Gange und hatte in China seit 1937 bereits Millionen Tote gefordert. Auch in Ostafrika herrschte bereits seit dem italienischen Überfall auf Äthiopien im Oktober 1935 Krieg – ein Krieg, an dem bis zur italienischen Kapitulation im Jahre 1941 Soldaten aus 17 Ländern und drei Kontinenten teilnahmen, der aber wohl deshalb nicht als Weltkrieg firmiert, weil er nicht in Europa stattfand, sondern in Afrika.
Die erschreckende Ignoranz der hiesigen Geschichtsschreibung gegenüber den Kriegsfolgen auf anderen Kontinenten dokumentieren wir in der Ausstellung anhand einiger prototypischen Beispiele auf Tafeln mit dem Titel «Verdrehte Geschichte».
So findet sich zum Beispiel in zahlreichen Büchern, mit denen an deutschen Schulen Geschichte gelehrt wird, bis heute der Satz, dass sich der Krieg erst mit dem Angriff der japanischen Luftwaffe auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor «zum Weltkrieg ausgeweitet habe». Dieser Angriff war im Dezember 1941 und somit zu einem Zeitpunkt, als in Asien bereits vier Jahre lang Krieg geführt wurde und in Afrika sogar schon sechs Jahre lang.
Auch ein Zitat des prominentesten Fernsehhistoriker der Republik, Guido Knopp, werden Sie in der Ausstellung finden. Knopp präsentierte im September 2004 einen Dokumentarfilm über «den Krieg im Pazifik», in dem nicht ein einziger Inselbewohner in Wort oder Bild vorkam, nur japanische Kamikaze-Flieger und US-amerikanische Marine-Soldaten. Dazu hieß es im Off-Kommentar, dass die grausamsten Schlachten im Pazifik auf – Zitat – «unbewohnten Insel» stattgefunden hätten.
Wir haben dieses Zitat in der Ausstellung neben die Tafel über Neuguinea platziert, wo damals zwei Millionen Menschen lebten, die sich 1942 mit 1,8 Millionen japanischen, US-amerikanischen und australischen Soldaten konfrontiert sahen. Um ihren Krieg im hohen Gebirge dieser Insel austragen zu können, rekrutierten die Allierten wie die japanischen Militärs jeweils 50.000 Einheimische, die als Träger, Kundschafter, Soldaten oder auch lebende Schutzschilde dienen mussten.
Ähnlich verheerende Folgen hatte der Zweite Weltkrieg für die Bewohner der Salomon-Insel, des Zentralpazifiks und Mikronesiens. In Palau kam ein Drittel der Bewohner im Zweiten Weltkrieg ums Leben, auf Saipan stand danach nahezu kein Haus mehr und jeder Zwölfte Inselbewohner war umgekommen.
Dem ZDF war all das noch 2004 in einer 45-minütigen Dokumentation über den Krieg im Pazifik nicht einen einzigen Satz und nicht ein einziges Bild wert.
Auch bei den zahlreichen Gedenkveranstaltungen und Fernsehsendungen, die es letztes Jahr im September zum 70. Jahrestags des deutschen Überfalls auf Polen gab, war von den außereuropäischen Kriegsschauplätzen und Kriegsopfern wieder einmal nicht die Rede, so wie in den Berichten von heute über den 8. Mai 1945.
Es ist diese historische Ignoranz, die wir mit der Ausstellung und unseren Publikationen zum Thema zu durchbrechen versuchen. Schließlich geht es nicht um Marginalien, sondern um die andere Hälfte der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die verdrängte und verleugnete Hälfte der Geschichte dieses Krieges.
Allein China zum Beispiel hatte darin mehr Opfer zu beklagen als Deutschland, Japan und Italien zusammen: nach heutigen Schätzungen etwa 21 Millionen!
Und wenn sich hierzulande die Nachfahren der Täter in Vertriebenenverbänden organisieren und als Opfer zu präsentieren versuchen, dann sei daran erinnert, dass der Vernichtungskrieg des deutschen Bündnispartners Japan in China 95 Millionen Vertriebene zur Folge hatte: 95 Millionen chinesische Männer, Frauen und Kinder – da sind mehr «Heimatvertriebene» als die gesamte Bevölkerung Deutschlands.
Weitaus mehr Bombenopfer als in Berlin, Dresden oder Köln gab es z.B. in der philippinischen Hauptstadt Manila. Dort kamen 1944 bei der Befreiung von der japanischen Besatzung 100.000 Zivilisten ums Leben.
Insgesamt standen im Zweiten Weltkrieg auch mehr Soldaten aus der Dritten Welt an den Kriegsfronten als aus Europa. Auch davon kamen die meisten aus China, nämlich ca. 14 Millionen. Von den 11 Millionen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg unter britischem Kommando kämpften, stammten fünf Millionen aus Kolonien – allein Indien stellte 2,5 Millionen Soldaten und damit die größte Kolonialarmee aller Zeiten.
Und die Streitkräfte des Freien Frankreich bestanden mehrheitlich aus Afrikanern.
Der ehemalige UNESCO-Generalsekretärs Amadou-Mahtar Mbow aus dem Senegal, der selbst für das Freie Frankreich gekämpft hat, vertritt die These, dass Frankreich ohne seine Hunderttausenden afrikanischen Kolonialsoldaten nicht zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs gezählt hätte und heute kein Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen besäße.
Wie massiv Afrika in den Zweiten Weltkrieg einbezogen wurde und welche nachhaltigen Folgen dies bis in die Gegenwart hatte, ist Thema der Begleitveranstaltungen zur Ausstellung, die an den drei kommenden Dienstagen im Erich-Maria Remarque stattfinden werden.
Es besteht kein Zweifel, dass die Befreiung der Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Größenwahn ohne die militärische, ökonomische und politische Rückendeckung durch die Dritte Welt nicht oder doch zumindest nicht in derselben Zeit hätte errungen werden können.
Dennoch werden diese historischen Fakten im hiesigen Geschichtsdiskurs systematisch ausgeblendet. Das erklärt auch die Form dieser Ausstellung. Da kaum einer der genannten Fakten bekannt ist, also nur wenig voraus gesetzt werden kann, sind Hintergrundtexte zu den präsentierten 400 Fotos unverzichtbar.
Wer zum Beispiel hat schon einmal von dem Massaker auf der Pazifikinsel Banaba gehört?
Oder von der kriegsbedingten Hungerskatastrophe in Bengalen, bei der 1943/44 mindestens zwei Millionen, möglicherweise sogar vier Millionen Menschen ums Leben kamen? Es war die schlimmste Hungerskatastrophe auf dem indischen Subkontinent seit dem 18. Jahrhundert und doch ist sie in der voluminösen, sechsbändigen Geschichte des Zweiten Weltkriegs von Winston Churchill mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen schreibt Churchill zu Beginn seines Kapitels über Indien, das er Hindustan nannte:
«Kein Teil der Weltbevölkerung von dieser Größe war so effektiv beschützt vor dem Horror und den Gefahren des Zweiten Weltkriegs wie die Menschen Hindustans. Unsere kleine britische Insel hat sie auf ihren Schultern durch alle Kämpfe getragen.»
Auch dieses Zitat können sie mit Quellenangabe in der Ausstellung nachlesen.
In Indochina gab es 1945 aufgrund der Requirierung von Lebensmitteln durch die japanische Besatzungsarmee eine kriegsbedingte Hungersnot, die ein bis zwei Millionen Tote forderte. Auch dieses dramatische Ereignis werden Sie in kaum einem Geschichtsbuch über den Zweiten Weltkrieg erwähnt finden.
Wer von Ihnen – Hand auf’s Herz – hat schon einmal davon gehört, dass der Krieg im Pazifik nicht im Dezember 1941 in Pearl Harbor begann, sondern schon im Dezember 1940 mit der Bombardierung der zentralpazifischen Insel Nauru durch die deutsche Kriegsmarine?
Wer kennt schon die Indische Legion der Deutschen Wehrmacht und weiß, dass diese 1944 in die Waffen-SS eingegliedert wurde, in Frankreich Jagd auf die Resistance machte und am Atlantikwall gegen Landsleute auf Seiten der Alliierten kämpfte?
Weil all dies so unbekannt ist, sind historische Einordnungen und Erklärungen neben den Fotos und den Berichten der Zeitzeugen in der Ausstellung notwendig.
Allerdings muss niemand alle Texte auf den Tafeln lesen, damit das Ziel dieser Ausstellung erreicht wird. Jede einzelne Tafel präsentiert eine in sich geschlossene Geschichte und auch wer nur wenige davon liest, wird rasch die Dimension dessen erkennen, was bislang verschwiegen wurde. Und genau darum geht es: um die Sensibilisierung für bislang verdrängte Kapitel der Geschichte. Tatsächlich zeigten sich Besucherinnen und Besucher in Berlin, Tübingen und Wuppertal, wo die Ausstellung bislang Station machte, durchweg verblüfft, ja oftmals konsterniert über das Ausmaß der historischen Fakten, die von der hiesigen Geschichtsschreibung bislang ausgeblendet wurden.
Ähnlich war es auch schon den Druckern gegangen, die in Köln die Alutafeln für die Ausstellung digital bedruckt haben. Sie lasen bei der Arbeit sämtliche Texte und waren davon so erstaunt und bewegt, dass sie uns eine zusätzliche Schulversion der Ausstellung im kleinen flexiblen A2-Format geschenkt haben. Sie wollten, dass die präsentierten historischen Fakten endlich auch in Schulen weitere Bekanntheit erlangten. Dank dieser Drucker kann hier in Osnabrück neben der großen Version der Ausstellung mit den Hör- und Videostationen auch eine kleinere am Graf-Stauffenberg-Gymnasium gezeigt werden. Diese wird am kommenden Dienstagmorgen eröffnet und dort werden Schülerinnen und Schüler selbst die Einführung und Führungen durch die Ausstellung übernehmen. Eine großartige Sache, denn wenn es gelingen soll, dem eurozentristischen und in Teilen rassistischen Geschichtsdiskurs hierzulande endlich eine globale Perspektive entgegenzusetzen, dann bedarf es einer Bewusstseinsänderung insbesondere in der historischer Forschung und Lehre an Schulen und Universitäten.
Deshalb haben wir nach dem Buch «Unsere Opfer zählen nicht», das 2005 erschienen ist und dessen zweite Auflage als Katalog zur Ausstellung dient, im Jahre 2008 Unterrichtsmaterialien zum Thema nachgelegt. Im Vorfeld der Ausstellung haben wir diese Unterrichtsmaterialien – kostenlos! – mit einem offenen Brief an die wichtigsten deutschen Schul- und Geschichtsbuchverlage geschickt, an insgesamt 23 Adressaten. Wir haben um Antwort gebeten, ob und wie die von uns dokumentierten Fakten in zukünftigen Ausgaben von Geschichtsbüchern berücksichtigt werden sollten. Aber drei Viertel der Angeschriebenen haben nicht einmal geantwortet. Und unter den wenigen Rückmeldungen waren – wie Sie im Epilog der Ausstellung nachlesen könne, auch nur zwei positive.
Lassen Sie mich noch ein paar Anmerkungen zu der politischen Debatte hinzufügen, die diese Ausstellung bei ihrer Premiere in Berlin im letzten September ausgelöst hat und die Sie möglicherweise in der Presse oder auch in Radio- und Fernsehberichten mitbekommen haben.
Obwohl Titel, Inhalte und Gliederung der Ausstellung seit Anfang 2009 in allen Details feststanden und von mir im Mai 2009 in Berlin auf mehreren vorbereitenden Veranstaltungen öffentlich und in Anwesenheit aller lokaler Kooperationspartner vorgestellt worden waren, sahen wir uns im August 2009, wenige Tage vor dem Transport der Ausstellung nach Berlin, mit dem Ultimatum konfrontiert, die Tafeln über arabische Nazikollaborateure auszusortieren. Ansonsten, so der knappe Bescheid aus Berlin, werde die Ausstellung nicht wie vereinbart in der Werkstatt der Kulturen in Berlin-Neukölln präsentiert werden. Denn die Leiterin der Werkstatt, Philippa Ebéné, habe damit gedroht, ihr Hausrecht geltend zu machen, um die Präsentation der wenigen Ausstellungstafeln zu diesem Thema zu verhindern. Ein klarer Fall von politischer Zensur. Da wir uns diesem nicht beugen wollten, mussten wir innerhalb einer Woche eine andere Ausstellungshalle suchen und finden, was wohl nur in einer Großstadt wie Berlin so kurzfristig möglich sein dürfte.
Der spektakuläre Ortswechsel in den Wedding und der Versuch der Werkstattleiterin, die Auseinandersetzung mit Kollaborateuren aus arabischen Ländern zu verhindern, von denen übrigens viele vor 1945 im Berliner Exil für den Propagandaapparat der Nazis gearbeitet hatten, schlugen in den Medien weit über die Stadt hinaus hohe Wellen – eine Publicity, auf die wir jedoch gerne verzichtet hätten, da dadurch die wesentlichen Inhalte der Ausstellung in den Hintergrund zu geraten drohten.
Tatsächlich dokumentieren die drei Hauptkapitel der Ausstellung die Rolle Afrikas, Asiens und Ozeaniens im Zweiten Weltkrieg, ein viertes, kleineres geographisches Kapitel ist Südamerika und der Karibik gewidmet. Im Vergleich dazu sind die thematischen Abschnitte über Judenverfolgung außerhalb Europas und Kollaboration deutlich geringer gewichtet. Aber ich will hier kurz begründen, warum uns letzteres in diesem Zusammenhang unverzichtbar erscheint.
Auch wenn das wesentlichste Anliegen unserer Ausstellung darin besteht, an die vergessenen Abermillionen Menschen aus der Dritten Welt zu erinnern, die für die Befreiung der Welt von deutschem Naziterror, italienischem Faschismus und japanischem Großmachtwahn gekämpft haben, so erfordert doch die historische Redlichkeit, nicht zu verschweigen, dass es vielerorts auch faschistische Bewegungen gab und internationale Netzwerke, in denen Kollaborateure mit den Nazis, den italienischen Faschisten und japanischen Militärs zusammen arbeiteten.
Uns geht es nicht um platte Heldenverehrung, auch wenn in der Ausstellung viele vergessene Helden in Wort und Bild vorgestellt werden und eine Gruppe schwarzer Deutscher in einer Videopräsentation mit dem Titel «Kriegserinnerungen aus der Nachbarschaft» selbst entworfene Plakate vorstellt, auf denen afrikanische Kolonialsoldaten demonstrativ als «Helden» präsentiert werden.
Aber es gab in der Dritten Welt keineswegs nur antifaschistische Helden, nicht nur Zwangsrekrutierte und Opfer, sondern auch zahllose Mitläufer, überzeugte Faschisten und Kollaborateure. Wer diese historischen Tatsachen zu ignorieren oder zu unterdrücken versucht, missachtet die Opfer dieser Kollaborateure. Schließlich geht es auch hier nicht um einige wenige Einzelfälle. Selbst für die Todesschwadronen der Waffen-SS, die Giftgasbrigaden der italienischen Faschisten und die Mordkommandos der japanischen Besatzer ließen sich Tausende Helfershelfer anheuern. Zehntausende meldeten sich freiwillig zur Arbeit in den Rüstungsindustrien der kriegtreibenden Mächte, Hunderttausende zum Kriegsdienst in deren Streitkräften und Millionen Menschen bejubelten deren Siege.
Die Folge dieser massenhaften Kollaboration waren Millionen Tote und wie fragwürdig die in Berlin um die Ausstellung geführte Debatte war, verdeutlicht die Tatsache, dass die Opfer der weltweiten Kollaboration mehrheitlich Kolonialisierte waren, Menschen aus Afrika, Asien und Ozeanien.
In Äthiopien zum Beispiel arrangierten sich Teile der Elite mit den italienischen Invasoren, obwohl diese schon bei ihrem Vormarsch auf Addis Abeba 150.000 Zivilisten nieder metzelten.
In Nordafrika starben Tausende Kolonialsoldaten aus Ost-, West- und Südafrika, Indien und dem Pazifik, Aborigines aus Australien und Maoris aus Neuseeland bei dem Versuch, den deutsch-italienischen Angriff auf Ägypten aufzuhalten während führende Politiker und Militärs in Ägypten ihn aktiv unterstützten.
Im Maghreb unterhielten die faschistischen Mächte mehr als einhundert Arbeitslager, die von einheimischen Kollaborateuren bewacht und in denen politische Oppositionelle und Juden aus Nordafrika gequält und zu Tausenden ermordet wurden.
Im Nahen Osten fanden die Nationalsozialisten besonders viele Sympathisanten, nicht nur wegen ihres Kriegs gegen die britischen Kolonialherren, sondern auch wegen der Verfolgung der Juden. Demonstranten in arabischen Ländern feierten die Siege Rommels in Nordafrika, der ägyptische König und seine Offiziere (darunter die späteren Präsidenten Sadat und Nasser) arbeiteten als Geheimagenten für die Nazis, im Irak inszenierten Generäle einen Pro-Nazi-Putsch und in Palästina zeigte sich der oberste Repräsentant der arabischen Bevölkerung, der Großmufti von Jerusalem, Hadj Amin el-Husseini, gegenüber dem Konsul des NS-Regimes schon 1933 begeistert vom Nationalsozialismus. Nach einem von ihm angezettelten und von den Nazis gesponserten Aufstand in Palästina und seiner Beteiligung an einem pro-faschistischen Putsch im Irak floh Husseini 1941 nach Berlin ins Exil. Von hier aus rekrutierte er arabische Soldaten für die Wehrmacht sowie muslimische Freiwillige für die Waffen-SS und sorgte durch persönliche Interventionen bei der NS-Führung dafür, dass Tausenden Juden aus von der Wehrmacht besetzten Ländern in Osteuropa die Ausreise verweigert wurde und sie in Vernichtungslager deportiert wurden.
Der Nachkriegskarriere Husseinis haben seine Kriegsverbrechen, seine
antisemitischen Hetzreden und seine SS-Funktion nicht geschadet. Im Gegenteil. Er blieb oberster internationaler Sprecher der Palästinenser und konnte in dieser Funktion 1947 im Auftrag der arabischen Liga wieder zum «Krieg gegen die Juden» aufrufen, gegen die von den Vereinten Nationen beschlossene Zwei-Staaten-Lösung für Palästina und die Gründung Israels. Zu seinen Gefolgsleuten von damals gehörte Jassir Arafat, der den überzeugten Faschisten und SS-Funktionär Husseini noch 2002 einen palästinensischen «Helden» nannte.
Fakten wie diese werden in hiesigen historischen und politischen Debatten und Publikationen ebenso oft verdrängt und verschwiegen wie die z.T. bis heute anhaltenden Sympathien für den Nationalsozialismus und der grassierende Antisemitismus in vielen arabischen Ländern, weil sie bei den aktuellen Debatten um den Nahost-Konflikt als störend empfunden werden.
Auch Asienexperten verharmlosen oftmals das Ausmaß und die Folgen der dortigen Kollaboration mit dem Kriegstreiber Japan.
Dabei meldeten sich z.B. allein in Singapur und Malaya 50.000 Inder freiwillig zum Kriegsdienst an der Seite Japans und malaiische Paramilitärs hafen den japanischen Besatzern, Zehntausende einheimische Chinesen niederzumetzeln.
Der Thailändische Militärherrscher Phibun Songkram bewunderte Hitler und Mussolini und legte sich selbst den Beinamen «Führer» zu. Es war dieser faschistoide Diktator, der das Land, das bis zum Zweiten Weltkrieg noch Siam hieß, in Thailand umbenannte. Und er meinte das wörtlich. Er wollte ein Land der «Thai», wie die größte Bevölkerungsgruppe genannt wird. Deshalb ließ er die große chinesische Minderheit verfolgen und führte – unterstützt von Japan – Krieg gegen Laos und Kambodscha, um die dort lebenden «Thai» heim in sein Großreich Thailand zu holen.
Die Ausstellung erinnert sehr bewusst an Fakten wie diese, um auch der Opfer zu gedenken, die es ohne Kollaborateure aus der Dritten Welt nicht gegeben hätte. Leider war der Berliner Versuch, dieses Thema unter den Tisch zu kehren, kein Einzelfall, sondern stellt hierzulande eher die Regel dar. Zahlreiche deutsche Historiker und Regionalwissenschaftler versuchen in ihren Publikationen, selbst überzeugte Faschisten rückblickend noch als antikoloniale Freiheitskämpfer hinzustellen und zu rechtfertigen, so mit stets ähnlichen Relativierungen in Publikationen über Palästina, Indien, Argentinien und andere Länder. Wer sich für diese Thema und die Kritik an den deutschen Apologeten der Nazikollaborateure interessiert, dem sei das Schwerpunktheft der Zeitschrift iz3w zum Thema (Nr. 312) empfohlen, das ebenfalls am Büchertisch der Ausstellung ausliegt.
Zum Schluss bleibt mir noch, denen zu danken, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Ausstellung, die seit September letzten Jahres durch verschiedene Städte wandert, bis zum 8. August hier in Osnabrück zu sehen ist. Das sind Dr. Carl-Heinrich Bösling von der Volkshochschule, Reinhard Stolle vom Aktionszentrum Dritte Welt und insbesondere Martin Siemsen vom Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, der über die letzten Wochen und Monate den größten Teil der organisatorischen Last geschultert hat.
Charlotte Heymel vom Graf-Stauffenberg-Gymnasium danke ich für Ihr Engagement, die kleine Version der Ausstellung an ihre Schule zu holen und dem Bürgermeister der Stadt Osnabrück, Burkhard Jasper, für seine einführenden Worte.
Last but not least danke ich Ihnen allen für Ihr Interesse am heutigen Nachmittag, das sehr ermutigend ist.
Schließlich geht es mit diesem Ausstellungsprojekt darum, den historischen Diskurs über das zentrale Ereignis des Zwanzigsten Jahrhunderts endlich so zu verändern, dass nicht länger nur Europa, die USA und Japan, sondern auch der Rest der Welt in der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg wahrgenommen werden. Dieses Vorhaben lässt sich nur realisieren, wenn das Thema vom Rand ins Zentrum der politischen Debatten gelangt. Dafür brauchen wir breite Unterstützung. Auch Ihre Unterstützung!
In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.
(Leicht gekürzt vorgetragen)