Unterrichtseinheiten eines Workshops der UNESCO-Projektschulen

21. bis 23. September 2009 in der Lutherstadt Wittenberg
Leiter: Karl Rössel (Rheinisches JournalistInnenbüro)

Hier zum Download: Impulse zur Behandlung des Themas im Unterricht
Entwurf einer Unterrichtseinheit zum Thema

Der Zweite Weltkrieg, die (Außen-)Politik des NS-Regimes sowie die Judenverfolgung gehören zum Lehrstoff aller Schulen. Die gravierenden Auswirkungen dieser Geschehnisse auf die Dritte Welt kommen allerdings in Schulbüchern und im Unterricht bislang kaum vor. Der Workshop zum Thema bei der Jahrestagung der UNESCO-Projektsschulen 2009 beschäftigte sich mit diesen vergessenen Aspekten der Geschichte.


Der Input zum Auftakt verdeutlichte die Dimension des Themas anhand von Fakten, Fotos und Originaltönen von ZeitzeugInnen:
Millionen Soldaten aus Afrika, Asien und Ozeanien haben im Zweiten Weltkrieg gekämpft, um die Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtwahn zu befreien. Allein Indien stellte 2,5 Millionen Kolonialsoldaten und China hatte mehr Opfer zu beklagen als Deutschland, Italien und Japan zusammen. Sowohl die faschistischen Achsenmächte als auch die Alliierten rekrutierten in ihren Kolonien Hilfstruppen und Hilfsarbeiter oftmals mit Gewalt. Japanische Militärs verschleppten zudem Hunderttausende Frauen aus Asien in ihre Frontbordelle. Rekruten aus den Kolonien, ob Freiwillige oder Zwangsverpflichtete, mussten sich mit weniger Sold, schlechteren Unterkünften und geringeren Kriegsrenten als ihre «weißen Kameraden» zufrieden geben. Weite Teile der Dritten Welt – von Nordafrika über den Nahen Osten und Indien bis nach Südostasien und Ozeanien – dienten auch als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet und vermint zurück. Bei der Befreiung der philippinischen Hauptstadt Manila von den japanischen Besatzern starben mehr Zivilisten als in Berlin, Dresden oder Köln. Die Kolonien der kriegführenden Mächte mussten zudem Nahrungsmittel für die kämpfenden Truppen und Rohstoffe für die Rüstungsproduktion liefern. Oft hungerte deshalb die einheimische Bevölkerung.

In der anschließenden Fragerunde wurden die präsentierten Fakten vertieft und (politische) Gründe für die historischen Leerstellen im hiesigen Geschichtsdiskurs diskutiert (Stichworte: koloniale Geschichtsschreibung, Eurozentrismus, Furcht vor Reparations- und Entschädigungsforderungen, Umgang mit den Nachfahren der Opfer heute…)

In dem Zusammenhang wurden auch die zum Thema vorliegenden Publikationen und Materialien vorgestellt:
• das Buch «Unsere Opfer zählen nicht» (Hamburg/Berlin 2005)
• die Unterrichtsmaterialien «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg» (Köln 2008)
• die (Wander-) Ausstellung «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg», die im September 2009 in Berlin ihre Premiere erlebte und von der bei recherche international e.V. in Köln auch kleinere Versionen in A1 und A2 ausgeliehen werden.

Die TeilnehmerInnen sahen und diskutierten zudem drei Filme bzw. Videos zum Thema:
• die Dokumentation «Geschichte wird gemacht» («Memoires Vives») über ein Hiphop-Tanztheater von MigrantInnen aus Straßburg, das an die Kolonialsoldaten der französischen Streitkräfte im Ersten und Zweiten Weltkrieg erinnert.
• den kurzen Animationsfilm «Der Freund aus den Kolonien» («L’ami y a bon») des algerischen Regisseurs Rachid Bouchareb über einen «Senegalschützen» im Zweiten Weltkrieg. Dieser Film wird in der Afrika-Abteilung der (Wander-) Ausstellung an einer Videostation permanent gezeigt.
• Auszüge aus dem Video «Kriegserinnerungen aus der Nachbarschaft» mit Interviews von MigrantInnen über Folgen des Krieges in ihren Herkunftsländern, das den Abschluss der (Wander-) Ausstellung bildet.

Ausführliche Informationen zu Filmen und Publikationen (darunter auch die kompletten Unterrichtsmaterialien mit Originaltönen von Zeitzeugen zum downloaden) finden sich auf der Internetseite: www.3www2.de

In drei Kleingruppen erarbeiteten die TeilnehmerInnen des workshops schließlich Ideen, wie die Rolle der Dritten Welt im Unterricht konkret behandelt werden könnte.
Die Protokolle der drei Arbeitsgruppen sollen auf der oben genannten Internetseite von recherche international e.V. präsentiert werden. Bislang liegt ein Protokoll vor.
(s. Anlage)

Aufgrund der politischen Debatten, die es rund um die Premiere der (Wander-) Ausstellung in Berlin Anfang September – also unmittelbar vor der UNESCO-Schultagung – gab, baten die TeilnehmerInnen des Workshops den Referenten noch um einen abschließenden Vortrag über «Nazi-Kollaborateure aus der Dritten Welt und ihre deutschen Apologeten».
(In Berlin hatte der Versuch der Werkstatt der Kulturen, die Ausstellungstafeln über arabische Nazikollaborateure zu zensieren, dazu geführt, dass recherche international e.V., um die Ausstellung unzensiert zeigen zu können, kurzfristig in die Uferhallen im Wedding hatte ausweichen müssen, was eine breite Debatte in den Medien ausgelöst hatte.)
Das Referat zum Thema ist ebenfalls auf der Internetseite des Projekts nachzulesen, deshalb hier nur Stichpunkte dazu:
Auch das NS-Regime bezog kriegswichtiges Material aus den französischen Kolonien in Afrika und Indochina, die unter der Kontrolle der Kollaborationsregierung in Vichy standen. Die Nazis wollten nach der Unterwerfung Osteuropas zudem ein Kolonialreich in Zentralafrika erobern und über Nordafrika in den Nahen Osten vorstoßen. Auch Hunderttausende Juden in dieser Region mussten deshalb um ihr Leben fürchten. 1942 landete ein SS-Kommando in Tunesien, das die Juden in Palästina vernichten sollte und noch im chinesischen Shanghai sahen sich Zehntausende jüdische Flüchtlinge von Gestapo-Verfolgern bedroht.
In der Dritten Welt gab es nicht nur Opfer und Kolonialsoldaten auf Seiten der Alliierten, sondern auch Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte, die im Krieg an deren Seite kämpften – von Nordafrika und Palästina über den Irak und Indien bis nach Thailand und Indonesien.

In der abschließenden Evaluierungsrunde erklärten alle TeilnehmerInnen, dass sie die im workshop behandelten bislang ignorierten Aspekte der Geschichte in ihren jeweiligen Schulen thematisieren wollten, wobei dies nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern auch in Fächern wie Politik, Sozialkunde, Philosophie, Ethik, Geographie und Religion möglich sei. Dazu könnten sowohl einzelne Stunden als auch ausführliche Unterrichtsreihen und fächerübergreifende Projektwochen gestaltet werden.

Konkrete Ergebnisse des Workshops waren, dass der hessische Landesverband der UNESCO-Projektschulen die (Wander-)Ausstellung über «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg» im Jahre 2012 nach Frankfurt holt und eine Teilnehmerin die Schulversion der Ausstellung (im A2-Format) schon Ende Januar 2010 am Freiherr v. Stein-Gymnasium in Betzdorf-Kirchen zeigte.

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