Redebeitrag im Jüdischen Zentrum Berlin

von Karl Rössel (Rheinisches JournalistInnenbüro / Recherche International e.V., Köln)

Nazikollaborateure aus der Dritten Welt und ihre deutschen Apologeten – am Beispiel des Nahen Ostens

Guten Abend.

Es ist für mich eine große Ehre, hier auf Einladung der jüdischen Gemeinde sprechen zu dürfen, vor Menschen, die aufgrund eigener bzw. familiärer Erfahrungen um die Singularität der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg wissen, die im Holocaust gipfelten. Die Geschichte dieses jüdischen Zentrums inmitten des jüdischen Viertels von Berlin legt Zeugnis davon ab.

Als vor zwei Wochen die öffentlichen Debatten um unsere Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ begannen, gehörte die jüdische Gemeinde – vertreten durch Herrn Levi Salomon – zu den ersten, die uns ihrer Solidarität versicherte und die es als ähnlich skandalös empfand wie wir, dass die Leiterin der Werkstatt der Kulturen, Philippa Ebéné unseren Berliner Kooperationspartnern von AfricAvenir drei Tage vor dem Aufbau ultimativ mittelte, dass sie in ihrem Haus keine Informationen über arabische Kollaborateure der Nazis dulden werde. Dafür danken wir sehr. Wie Sie wahrscheinlich alle erfahren haben, wird die Ausstellung deshalb jetzt in den Uferhallen im Wedding gezeigt.

Letzte Woche hieß es dann auf einer Pressekonferenz der Werkstatt der Kulturen, dass insgesamt 18 unser Ausstellungstafeln dort nicht erwünscht gewesen seien, womit neben dem Kapitel über Kollaboration wohl auch das über Judenverfolgung außerhalb Europas gemeint ist, was die Angelegenheit nur noch skandalöser macht.

Dass das Thema Kollaboration in der öffentlichen Debatte der letzten zwei Wochen einen besonderen Stellenwert eingenommen hat, war nicht unsere Absicht, sondern ist Folge der Zensurversuche von Frau Ebéné, und wir bitten bei jeder Gelegenheit darum, darüber nicht den gesamten Kontext unserer Ausstellung aus dem Blick zu verlieren. Deshalb lade ich auch Sie hiermit herzlich ein, in die Uferhallen im Wedding zu kommen und sich die Ausstellung komplett anzuschauen.

Schließlich haben auf allen Kontinenten zweifellos mehr Menschen gegen die Faschisten gekämpft als an ihrer Seite und dies dokumentieren wir auch die meisten unserer Ausstellungstafeln, Hör- und Videostationen sowie die Filme, Vorträge und das Hiphop-Tanztheater unseres Begleitprogramms.

Aber es entspricht historischer Redlichkeit neben alledem nicht zu verschweigen, dass es in zahlreichen Ländern der Dritten Welt auch faschistische Bewegungen gab und internationale Netzwerke, in denen diese zusammen arbeiteten.

Diese Kollaboration rund um den Globus hat die Befreiung der Welt vom Naziterror und vom japanischen Großmachtwahn wesentlich erschwert und verzögert. Und die Folge davon waren Millionen zusätzliche Opfer, die es ohne Kollaboration nicht gegeben hätte.

Es wäre zweifellos eine lohnenswerte lokalhistorische Forschungsarbeit, das Wirken der Kollaborateure, die von 1933 bis 1945 hier in Berlin agierten, einmal im Detail zu untersuchen. Die Nazis stellten ihnen nicht nur Geld und technische Hilfsmitel für ihre in aller Welt verbreitete Propaganda per Radio oder Flugschriften zur Verfügung, sondern auch Büro- und Wohnhäuser, aus denen ihre jüdischen Vorbesitzer vertrieben worden waren. Die Kollaborateure berührte dies ebenso wenig wie die Zerstörung dieses jüdischen Zentrums und der Synagoge sowie die Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Berlin, die sie hier in der Stadt miterlebten.

Im Gegenteil. Der Palästinenserführer Hadj Amin el-Husseini z. B. appellierte, wie auf einer unserer Ausstellungstafeln nachzulesen ist, am 2. November 1943 bei einer Rede im „Islamischen Zentral-Institut zu Berlin“ an die gesamte arabische Welt, dem Beispiel Nazideutschlands zu folgen, eine – Zitat – „endgültige Lösung…für die jüdische Gefahr (zu) finden“ und alle Juden „aus allen arabischen und mohammedanischen Ländern“ zu vertreiben.

Auch wenn es das wesentlichste Anliegen unserer Ausstellung, an die Abermillionen vergessenen Menschen in der Dritten Welt zu erinnern, die für die Befreiung der Welt von deutschem Naziterror, italienischem Faschismus und japanischem Großmachtwahn gekämpft haben, so erfordert es doch die historischer Redlichkeit, dabei ´nicht zu verschweigen, dass es vielerorts auch faschistische Bewegungen gab und internationale Netzwerke, in denen Kollaborateure zusammen arbeiteten.

Die faschistische „Internationale“

Die deutschen Nationalsozialisten gingen beim Aufbau ideologischer Außenposten in aller Welt zweigleisig vor. Zum einen spannten sie die im Ausland lebenden Deutschen für ihre Ziele ein und gründeten rund um den Globus Auslandsorganisationen der NSDAP – NSDAP-AO genannt.

Zum anderen schlossen sie Bündnisse mit politischen Gruppierungen und Regierungen, die mit dem Faschismus sympathisierten und den deutschen Krieg gegen die Alliierten unterstützten.

Allein in Lateinamerika lebten in den 1930er Jahren etwa eine Millionen Deutschstämmige, von denen die große Mehrheit mit den Nazis sympathisierte. Vor allem in Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien bedienten sich die Nazis eines weit verzweigten Netzes deutscher Vereine, Einrichtungen, Schulen und Kirchengemeinden. Lokale Naziorganisationen waren in vielen südamerikanischen Staaten bereits 1931 entstanden (in Paraguay schon 1929). Die NSDAP-AO sorgte ab 1933 dafür, dass sämtliche Institutionen der Auslandsdeutschen gleichgeschaltet wurden. In den deutschen Schulen wurde faschistisches Gedankengut gelehrt, jüdische Kinder wurden der Schule verwiesen, und wo Eltern, wie in Buenos Aires, dagegen protestierten, drohten die Nazibehörden in Berlin, die finanziellen Zuschüsse zu streichen. „Überall bildeten sich kleine Gruppen, die, als Stoßtrupps verkleidet, den Arm zum faschistischen Gruß erhoben“, schrieb Pablo Neruda über die Nazis in Chile. „In jenen Tagen der dröhnenden Hitlersiege musste ich mehr als einmal Straßen eines südchilenischen Dörfchens oder Städtchens zwischen wahren Wäldern von Hakenkreuzfahnen überqueren.“ (*1)

Die NSDAP-AO und der in Berlin ansässige Verein für das Deutschtum im Ausland koordinierten Aktivitäten dieser Art in aller Welt. So hetzte ihre Zweigstelle in Ägypten gegen die „Judenhochburg“ Alexandria. Im so genannten Hansa-Klub in Kairo hielten deutsche Referenten Vorträge über das „Judentum“ und „südarabische Rassenfragen“. In Shanghai gründeten deutsche Geschäftsleute eine Ortsgruppe der Nazipartei, und eine „Arier-Union“ rief zum „Boykott jüdischer Geschäfte“ auf. Vertreter des NS-Regimes veranlassten die japanischen Besatzer der chinesischen Hafenstadt dazu, Zehntausende jüdische Flüchtling in Shanghai in ein Ghetto einzuweisen und sie wollten ihren Vernichtungswahn auch noch dort, am anderen Ende der Welt, umgesetzt sehen. So schlugen sie Japans Militärs vor, die jüdischen Flüchtlinge entweder auf einer vorgelagerten Insel verhungern zu lassen, mit manövrierunfähigen Schiffen im Meer zu versenken oder – wie manche Quellen sagen – eine Gaskammer zu bauen, um sie zu ermorden.(*2)

Aber so grausam Japan ansonsten seinen Krieg in China auf führte, den eliminatorischen Antisemitismus Nazideutschlands und örtlicher NS-Funktionäre aus Shanghai exekutierte es nicht.

Noch im fernen Australien feierten deutsche Einwanderer in ihren Clubs den „Nationalen Tag der Arbeit“ und „Führers Geburtstag“. Nazi-Redner konnten „mit freundlicher Unterstützung“ des australischen Außenministeriums den Kontinent bereisen und Propagandafilme wie „Deutschland Erwache“ vorführen. Dem Schriftsteller Egon Erwin Kisch wurde hingegen 1934 die Einreise zu einem antifaschistischen Kongress in Melbourne verwehrt.

Nicht nur die Auslandsdeutschen, auch manche Regierungen sympathisierten mit den faschistischen Regimes in Europa und zeigten sich von der autoritären Staatsführung sowie den militärischen „Erfolgen“ der europäischen Kriegstreiber begeistert. In Lateinamerika z.B. übernahmen Nationalpopulisten wie der Brasilianer Getulio Vargas und der Argentinier Juan Domingo Perón Elemente faschistischer Herrschaft wie Führerkult, Massenaufmärsche und die korporative Einbindung der Gewerkschaften. Die meisten Regierungen Lateinamerikas brachen ihre diplomatischen Beziehungen zu Nazideutschland erst nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, dem japanischen Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der USA im Jahre 1941 ab, zumeist erst auf massiven Druck der US-Regierung. Chile und Argentinien unterhielten noch bis 1943 bzw. 1944 enge Kontakte zum NS-Regime.

Statthalter in französischen Kolonien

Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Nordfrankreich unterzeichnete die in Vichy amtierende Kollaborationsregierung unter Marschall Philippe Petain im Juni 1940 einen Waffenstillstandsvertrag, der dem NS-Regime auch die Ausbeutung der französischen Kolonien zusicherte. Deutsche Offiziere kontrollierten dies vor Ort (der Film „Casablanca“ erinnert daran). In Westafrika, Madagaskar und Nordafrika kontrollierten Anhänger Petains die Kolonialadministration und setzten dessen antisemitische Gesetze rigoros um. Für rund 500.000 nordafrikanische Jüdinnen und Juden bedeutete dies gesellschaftliche Ächtung, Ausplünderung und Verfolgung.

In Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen unterhielten die deutschen, französischen und italienischen Faschisten mehr als einhundert Arbeitslager, in die neben politischen Oppositionellen und Deportierten aus Europa auch Tausende Jüdinnen und Juden verschleppt wurden. Als Wachpersonal und Folterer volontierten Einheimische. Der US-Historiker Richard Satloff schreibt dazu in seinem Buch über „the Holocausts long reach into Arab lands“: „Zahlreiche Berichte von Augenzeugen belegen, dass arabische Soldaten, Polizisten und Arbeiter zu allem bereit waren – manchmal in wesentlichem, manchmal in geringerem Maße – um nach dem Vorbild der Judenverfolgung in Europa auch gegen das nordafrikanische Judentum vorzugehen (…) Von den Außenbezirken Casablancas bis in die Wüstengegenden südlich von Tripolis dienten Araber überall als Wächter und Aufseher in den Arbeitslagern“.(*3)

Auch einige der führenden Honoratioren und wohlhabenden Familien in Algerien sahen in Marschall Petain einen „ehrenwerten Herrn“. In Westafrika zeigten sich Dorfchefs – nicht selten gegen Bezahlung – bereit, die Vichy-Behörden bei der Rekrutierung von Kolonialsoldaten zu unterstützen.

„Mein Kampf“ im Nahen Osten

Im Nahen Osten sympathisierten nicht nur bedeutende Teile der Bevölkerung, sondern auch höchste Regierungskreise mit den faschistischen Kriegstreibern. Und dies nicht trotz, sondern in vielen Fällen wegen des eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. König Ibn Saud von Saudi-Arabien empfand für Hitler die „größte Hochachtung“. Und Ägyptens König Faruk sandte ihm 1941 die Botschaft, er sei von „starker Bewunderung für (den) Führer und Hochachtung vor dem deutschen Volk erfüllt“, dessen Sieg über England er sehnlichst herbeiwünschte.(*4)

Vielerorts entstanden faschistische Parteien und Nachwuchsorganisationen nach dem Vorbild der Hitler-Jugend, wie die „Syrische Volkspartei“ (1932), das „Junge Ägypten“ (1933) sowie die irakische (1935) und palästinensische Futuwwa (1936). Vertreter dieser Organisationen nahmen an Reichsparteitagen der NSDAP in Nürnberg teil. Zum Teil waren sie persönlich von Baldur von Schirach, dem Führer der Hitler-Jugend, eingeladen worden, als dieser 1937 mit einer Delegation von Damaskus über Bagdad bis Teheran reiste.(*5) In Ägypten und Marokko, Irak und Libanon kursierten in der Vorkriegszeit Übersetzungen von „Mein Kampf“. Sie waren mit Hitlers Einwilligung um die Passagen gekürzt worden, in denen er seine rassistische Verachtung gegenüber Arabern offenbart hatte.

Auch zu Mussolini, der sich als „Schwert des Islam“ gegen die britischen Kolonialherren anbiederte, unterhielten arabische Führer freundschaftliche Kontakte.

Bei seinen Großveranstaltungen in Rom umgab sich der „Duce“ gerne mit ausländischen Anhängern, die bereit waren, bei seinen Inszenierungen den Hofstaat zu spielen. So reisten zu einem von Mussolini im Dezember 1933 eröffneten Kongress „orientalischer Studenten“ Hunderte Sympathisanten aus Persien, Ägypten und anderen arabischen Ländern sowie aus Thailand, Afghanistan, Indien, Japan und China an. Unter ihnen war der indische Politiker Subhas Chandra Bose, der 1941 nach Berlin fliehen und dort zu den prominentesten Kollaborateuren des NS-Regimes gehören sollte.(*6)

Aufteilung der faschistischen Welt

Nach Kriegsbeginn verständigten sich die faschistischen Achsenmächte darauf, die Welt, die sie erobern wollten, in Einflussbereiche aufzuteilen. Deutschland sollte Osteuropa, den vorderen Orient einschließlich Afghanistans und ein zentralafrikanisches Kolonialreich kontrollieren. Italien beanspruchte die Vorherrschaft in den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers vom Maghreb bis zum Nahen Osten sowie in Ostafrika. Japan wurden die Pazifikregion sowie weite Teile Asiens zugesprochen. Der 70. Längengrad (im Osten des heutigen Pakistan und westlich der indischen Stadt Mumbai) bildete die Grenze zwischen der deutschen und japanischen Hemisphäre. Dort wollten die Streitkräfte beider Länder nach der „Befreiung“ Indiens „vom britischen Joch“ zusammen treffen. In ihren jeweiligen Interessensphären installierten die drei Mächte überall dort, wo sie über die militärische Kontrolle verfügten, Marionettenregierungen. In den Ländern, die noch unter alliierter (Kolonial-)Herrschaft standen, warben sie Kollaborateure für Sabotageakte und Überläufer für ihre Streitkräfte an.

Nazideutschland und Italien verständigten sich darauf, gefangene Kolonialsoldaten untereinander auszutauschen. Das NS-Regime überführte Häftlinge aus dem Maghreb und dem Nahen Osten nach Italien, weil Mussolini eine Arabische Legion aus Überläufern formieren wollte. Italien schickte indische Gefangene nach Deutschland in ein Lager bei Annaberg. Dies sollte Subhas Chandra Bose die Aufstellung einer Indischen Legion der Wehrmacht ermöglichen. Obwohl Hitler und Mussolini jede definitive Zusage verweigerten, den arabischen Ländern und dem indischen Subkontinent nach Kriegsende die Unabhängigkeit zu gewähren, ließen sich Tausende Überläufer bereitwillig in die faschistische Kriegsmaschinerie eingliedern. Im weiteren Verlauf des Krieges wurde diese geographische Arbeitsteilung aufgegeben. Auch die Nazis stellten schließlich eine Arabische Legion auf und vom besetzten Griechenland aus schickte der Sonderstab F (für Felmy) arabische Untergrundkommandos zu Sabotageakten in die britischen und französischen Kolonien des Nahen Ostens.

Mit Hilfe prominenter arabischer Politiker im deutschen Exil wie Hadj Amin el-Husseini aus Palästina und Raschid Ali al-Ghailani aus dem Irak konnte das NS-Regime auch in den Balkanländern und den besetzen Provinzen im Süden der Sowjetunion muslimische Freiwillige rekrutieren: 200.000 Soldaten für die Wehrmacht und Zehntausende für die Todesschwadronen der Waffen-SS in Kroatien, Bosnien und Slowenien. Um ihre muslimischen Kollaborateure bei Laune zu halten, sorgte das NS-Regime dafür, dass sie „nach islamischen Regeln verpflegt“ wurden und die SS richtete mit Hilfe des Palästinenserführers Husseini in Dresden eine „Mullah-Schule“ ein, um die religiöse Betreuung dieser Truppen durch Imame zu gewährleisten. Viele der muslimischen Freiwilligen hielten ihren Nazi-Befehlshabern bis zum letzten Kriegstag die Treue, nicht wenige auch darüber hinaus.

Treueschwüre für Japans Kaiser

Auch Japan fand in Asien zahlreiche Kollaborateure, obwohl sich das Versprechen, die europäischen Kolonialherren vertreiben und „Asien den Asiaten zurück geben, rasch als Kriegspropaganda erwies, die von der Realität wider.

1910 erklärte Japan Korea zu seiner Kolonie, 1931 besetzten japanische Truppen die chinesische Mandschurei, 1937 diente ein inszenierter Zwischenfall bei Peking als Vorwand für die Invasion des chinesischen Kernlandes, dem die Eroberung weiter Teile Asiens und der Pazifikregion folgte. In den unterworfenen Ländern verübten die japanischen Besatzer zahllose Massaker und trieben Millionen Menschen zu Zwangsarbeit und Kriegsdiensten aller Art. Trotzdem fand auch das japanische Kaiserreich zahlreiche willige Helfer in seinem Krieg zur Etablierung eines „großostasiatischen Reichs“ unter japanischer Herrschaft.

Dazu gehörten Teile der Elite in Korea, nationalistische Politiker in China, Feudalherren in dem von Vichy regierten Indochina, der Militärherrscher Thailands Phibun Songkram, der ein großer Bewunderer Hitlers und Mussolinis war und sich selbst den Beinamen „Führer“ zulegte, Aung Sang in Burma, der Vater der heutigen Oppositionsführerin Aung Sang Suu Kyi, der es zum Generalmajor in der japanischen Armee brachte, und die Führung der indonesischen Befreiungsbewegung um Achmed Sukarno, der als höchster einheimischer  Funktionsträger in der japanischen Besatzungsbehörde arbeitete und noch die Unabhängigkeitserklärung 1945 im Haus eines japanischen Admirals schrieb.

Ähnlich wie das japanische Regime suchten auch die europäischen Achsenmächte in anderen Kontinenten keinesfalls gleichberechtigte Bündnispartner, sondern Lakaien, die für ein wenig Beteiligung an der Macht bereit waren, sich dem deutschen und italienischen Großmachtwahn gefällig zu erweisen. Dabei sah Hitler z.B. in Arabern „lackierte Halbaffen, die die Knute spüren sollen“.(*8) Und die Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung waren für ihn „asiatische Gaukler“, weshalb er „als Germane Indien… immer noch lieber unter englischer Herrschaft sehe als unter einer anderen“. Aber weder rassistische Tiraden wie diese noch die Vernichtungskriege Japans in China, Deutschlands in Osteuropa und Italiens in Ostafrika konnten die Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte in aller Welt irritieren. Selbst den Holocaust nahmen sie billigend in Kauf, wenn sie sich nicht sogar – wie der Palästinenserführer Husseini – aktiv daran beteiligten.

Umso bemerkenswerter ist, wie durchgängig dieses Thema in der hiesigen Geschichtsschreibung vernachlässigt wird. WissenschaftlerInnen und PublizistInnen hierzulande unternehmen weitaus mehr Bemühungen, das Ausmaß und den Charakter der Kollaboration zu verharmlosen und zu entschuldigen, als diese kritisch aufzuarbeiten und ihre bis weit in die Nachkriegszeit hinein reichenden Auswirkungen zu analysieren.

Dafür seien hier nur einige Beispiele für viele über die Darstellung von Kollaborateuren aus Indien, Argentinien und dem Nahen Osten aufgeführt.

Beispiel 1: Indien

Subhas Chandra Bose gehörte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zu den einflussreichsten Politikern Indiens. Im März 1939 wählte ihn der Indische Nationalkongress zum zweiten Mal zu seinem Präsidenten, obwohl sein Gegenkandidat die Unterstützung Mahatma Gandhis und Jawaharlal Nehrus genoss. Anders als diese propagierte Bose nicht nur den bewaffneten Widerstand gegen die britischen Kolonialherren, sondern auch die Zusammenarbeit mit den faschistischen Achsenmächten. Von den Briten unter Hausarrest gestellt, gelang ihm 1941 die Flucht nach Deutschland, wo ihm das NS-Regime hier in Berlin eine Million Reichsmark zur Verfügung stellte, um mit einem Dutzend Helfershelfern eine „Zentrale Freies Indien“ zu gründen und anti-britische NS-Propaganda über Radio in Indien zu verbreiten.

Unter indischen Studenten und Soldaten, die für die Briten gekämpft hatten und in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, rekrutierte Bose eine Indische Legion für die Deutsche Wehrmacht, die später – etwa 3000 Mann stark – in die Waffen-SS eingegliedert und in Frankreich gegen die Resistance eingesetzt wurde.

1943 kehrte Bose – mit einem deutschen U-Boot – nach Asien zurück, um dort 50.000 Freiwillige für seine „Indian National Army“ anzuwerben. Sie sollten mit den japanischen Streitkräften von Burma aus in Indien einmarschieren. Ein Flugzeugabsturz bei seiner Flucht nach Japan im Jahre 1945 verhinderte, dass Bose als Kollaborateur zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Für viele Inder ist er bis heute ein „Held“, insbesondere in seiner Heimatprovinz Bengalen. Dort sind Schulen und Universitäten nach ihm benannt, eine U-Bahnstation und der Flughafen von Kalkutta, es gibt Bose-Denkmäler und eine Partei, die sich auf ihn beruft. Auch hierzulande finden sich deutlich mehr Bewunderer als Kritiker dieses Nazi-Kollaborateurs. In seinem Buch über Bose aus dem Jahre 2002, eine Dissertation an der hiesigen Humboldt-Universität, behauptet Jan Kuhlmann schon in der Einleitung, Bose habe mit den Nazis außer der Feindschaft zu Großbritannien nichts verbunden. Dabei finden sich darin zahlreiche Dokumente, die das Gegenteil beweisen. Danach strebte Bose „eine Synthese von Faschismus und Sozialismus“ an, schwärmte für „die militärischen Erfolge der Wehrmacht“ und ließ seine Mitarbeiter den faschistischen Arbeitsdienst sowie die Hitlerjugend studieren, um Anregungen für die zukünftige Organisationsform eines unabhängigen Indien zu sammeln. Trotzdem konnte dieser „Historiker“ auch in einer ZDF/arte-Dokumentation im Februar 2007 erneut seine Behauptung verbreiten: „Bose war kein Nazi!“ Diese TV-Dokumentation war ein Skandal, weil darin ausschließlich Anhänger Boses und seine deutschen Freunde aus der Wehrmacht und Waffen-SS als Zeitzeugen auftraten. Nicht ein einziger deutscher oder indischer Kritiker des Kollaborateurs kam zu Wort und selbst die Tatsache, dass Boses Indische Legion Teil der Waffen-SS war, wurde verschwiegen. Dafür durfte der Übersetzer des indischen Waffen-SS-Kommandos vom Krieg in Frankreich plaudern wie von einem Abenteuerurlaub: so seien seine indischen Zöglinge von den Franzosen, „die doch unsere Freunde waren“, aus heiterem Himmel beschossen worden und hätten deshalb natürlich zurückschossen. Kein Wort darüber, dass die indischen Nazi-Schergen für Vergewaltigungen und Massaker an der französischen Zivilbevölkerung verantwortlich waren.

Die Auseinandersetzung mit der realen Geschichte der indischen Nazi-Kollaborateure wird hierzulande möglicherweise deshalb gescheut, weil Angehörige von Boses Legion in der Nachkriegszeit als indische Botschafter nach Deutschland zurückkehrten und mit ihren ehemaligen Kameraden von der Waffen-SS, darunter Adalbert Seifriz, Minister für Bundesangelegenheiten in Baden-Württemberg, auch die Deutsch-Indische-Gesellschaft gründete, die 2003, anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens, stolz und ungeniert auf diese Tradition verwies – in Anwesenheit des amtierenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Erwin Teufel.

Hier in Berlin lud das Indische Kulturzentrum zu dessen 100. Geburtstag 1996 zu einem großen „Bose-Symposium“, der damalige Außenminister Klaus Kinkel  nahm in Indien an einer Ehrung für Bose teil und erinnerte dabei an eine „alte Achse“ und auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung wird der Bewunderer des europäischen Faschismus als „vergessener Held“ gefeiert.

Beispiel 2: Argentinien

Mitte 2006 erschien die deutsche Übersetzung des Buches „Odessa – Die wahre Geschichte der Fluchthilfe für NS-Kriegsverbrecher“. Der Autor, der argentinische Journalist Uki Goñi, hat bei seinen Recherchen festgestellt, dass viele Dokumente zum Thema in Argentinien entweder von der Regierung vernichtet oder unter Verschluss gehalten wurden. Doch in Archiven und argentinischen Botschaften rund um die Welt fand er Belege dafür, dass es während des Zweiten Weltkrieges Anweisungen der argentinischen Regierung gab, jüdischen Flüchtlingen Visa und Einreise zu verwehren (exekutiert von antisemitischen Staatsbeamten und Botschaftern), und eine organisierte Fluchthilfe für Nazikriegsverbrecher aus Europa, an der – neben dem Vatikan – die argentinische Regierung maßgeblich beteiligt war und deren Fäden im Palast des Präsidenten Perón zusammen liefen.

Dass Perón mit dem Nationalsozialismus und Faschismus sympathisierte, steht außer Frage. Trotzdem ist  der 1974 gestorbene Diktator für viele in Argentinien bis heute ein Idol. Als seine Gebeine im Oktober 2006 aus einer Familiengruft in ein eigens für ihn errichtetes pompöses Mausoleum überführt wurden, das aus Gewerkschafts- und Spendengeldern finanziert worden war, prügelten sich Tausende Perón-Anhänger mit der Polizei, weil sie den sterblichen Überresten ihres Helden möglichst nahe sein wollten.

Derweil betreiben Lateinamerika-Experten hierzulande seit dem Erscheinen von Goñis Buch eine regelrechte Kampagne, um die von ihm zusammen getragenen Fakten als unglaubwürdig und die organisierte Fluchthilfe für Nazis nach Lateinamerika weiterhin als „Mythos“ erscheinen zu lassen.

So veranstaltete die Iberische und Lateinamerikanische Abteilung des Historischen Seminars der Universität zu Köln im Dezember 2006 eine dreitätige „internationale Fachtagung“ über „Argentinien und das Dritte Reich“, zu der Goñi, obwohl zur gleichen Zeit auf einer Lesereise in Deutschland, demonstrativ nicht eingeladen wurde. Danach präsentierte der Kölner Professor Holger Meding, der schon in der Kommission der argentinischen Regierung zur Aufarbeitung (sprich: Verharmlosung) der Nazibeziehungen des  Perónregimes mitgearbeitet hatte, als Fazit der Tagung in den Medien, dass die Zahl der Kriegsverbrecher, denen die Flucht nach Argentinien gelang, eher gering gewesen sei, die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen dagegen sehr bedeutsam. Die argentinische Regierung habe lediglich versäumt, dies – durch „eine bessere PR-Politik“ (!)  – offensiv nach außen zu vertreten.

Im März 2007 legte der pensionierte deutsche Diplomat Heinz Schneppen mit seinem Buch „Odessa und das Vierte Reich“ nach, das die Zeitung „Die Welt“ unter der triumphierenden Überschrift besprach: „Es gab keine ‚Odessa’. Das angebliche krakenhafte Netzwerk von Nazi-Unterstützern hat nie existiert.“

Dass der Autor Heinz Schneppen maßgeblich an der Kampagne gegen die Entscheidung des damaligen Außenministers Josef Fischer beteiligt war, ehemaliger Diplomaten mit NS-Vergangenheit nicht mehr ehrend zu gedenken, offenbart die Gesinnung dieses Geschichtsrevisionisten.

Beispiel 3: Palästina

Im Nahen Osten fanden die Nationalsozialisten besonders viele Sympathisanten, nicht nur wegen ihres Kriegs gegen die Briten, sondern auch wegen der Verfolgung der Juden. Demonstranten in verschiedenen arabischen Ländern feierten die Siege Rommels in Nordafrika, der ägyptische König und seine Offiziere (darunter die späteren Präsidenten Sadat und Nasser) arbeiteten als Geheimagenten für die Nazis, im Irak inszenierten Generäle einen Pro-Nazi-Putsch und in Palästina zeigte sich der oberste Repräsentant der arabischen Bevölkerung, der Großmufti von Jerusalem, Hadj Amin el-Husseini, gegenüber dem Konsul des NS-Regimes schon 1933 begeistert vom Faschismus. Nach einem von ihm angezettelten und von den Nazis gesponserten Aufstand in Palästina und seiner Beteiligung am Putsch im Irak floh er 1941 nach Berlin ins Exil. Von hier aus rekrutierte er arabische Soldaten für die Wehrmacht sowie muslimische Freiwillige für die Waffen-SS und sorgte durch persönliche Interventionen bei der NS-Führung  dafür, dass Tausenden Juden aus von der Wehrmacht besetzten Ländern in Osteuropa die Ausreise verweigert wurde und sie in Vernichtungslager deportiert wurden.

Seiner Nachkriegskarriere schadete dies nicht. Im Gegenteil.

In den hiesigen historischen und politischen Debatten werden die (z.T. bis heute anhaltenden) Sympathien für den Nationalsozialismus in der arabischen Welt allerdings durchweg verschwiegen, verdrängt und verharmlost.

So wurde z.B. auf einer Konferenz des Zentrums Moderner Orient in Berlin (2002) der Nazi-Putsch im Irak, der zum schlimmsten Judenpogrom in der Geschichte des Landes führte, zum „Generationenkonflikt“ umgedeutet. Die Ergebnisse der Tagung erschienen (2004) unter dem verniedlichenden Titel „arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus“, so als wären sich ein paar Nazis und Araber auf der Promenade der Zeitgeschichte begegnet und hätten sich zugewunken. Ähnlich waren dann auch die meisten restlichen Reden auf dieser Tagung.

Das Zentrum legte auch eine Sammlung der Reden Husseinis und seiner Briefe an NS-Größen vor aus den Jahren 1940 bis 1945. Darin erweist sich der Palästinenserführer als militanter Antisemit und Unterstützer der Judenvernichtung, was die deutschen Herausgeber allerdings – Zitat – weder „denunzieren“ noch „dämonisieren“ mögen. Sie wollen lediglich dazu beitragen, „ein nüchternes Verhältnis“ zu diesem „umstrittenen Politiker“ zu finden.

Prototypisch für die skandalösen Geschichtsklitterungen des Zentrums Moderne Orient und anderer in Bezug auf arabische Nazikollaborateure ist die bislang umfangreichste, 2007 publizierte Studie über „Palästina und den Nationalsozialismus“ von René Wildangel.

Zwar muss auch Wildangel eingestehen: „Es ist richtig, dass es in Palästina zwischen 1933 und 1945 Zustimmung und zum Teil sogar Begeisterung für den Nationalsozialismus gab.“(*9) Aber dann versucht er über 444 Seiten, das Gegenteil zu beweisen und den Nachweis zu erbringen, dass „kritische Stimmen zum Nationalsozialismus“ in Palästina überwogen hätten. Als Belege dafür dienen ihm Artikel aus arabischen Zeitungen, obwohl diese – Zitat – „insgesamt weniger als zehn Prozent“ der palästinensischen Bevölkerung erreichten und „seit 1932“ unter der Zensur der britischen Mandatsmacht standen, die für pro-alliierte Inhalte sorgte.

An den von Wildangel präsentierten Quellen erstaunt deshalb viel eher, wie oft es arabischen Journalisten trotz der britischen Zensur gelang, Hitler und Mussolini-Fotos „auf die ersten Seiten der Zeitungen“ zu hieven, ausführliche Passagen aus „Mein Kampf“, dem NSDAP-Parteiprogramm und Hitler-Reden „ohne Kommentar“ abzudrucken und mehrseitige Beilagen „mit deutschen Propagandafotos“ etwa vom Nürnberger Parteitag zu verbreiten. Und in Berichten arabischer Korrespondenten aus Europa hieß es zum Beispiel: „Hitler ist der Prophet eines Nationalismus, der wahrhaft, treu, lebhaft, aktiv, kämpferisch und aufopferungsvoll ist. (…) Hitler ist der König der Herzen. Nicht nur des Herzens der starken und kraftvollen deutschen Nation, sondern der Herzen aller Aufrichtigen(…) in der ganzen Welt.“(*10)

Obwohl Wildangel selbst auf faschistische Propaganda dieser Art verweist, versteigt er sich zur Behauptung, während des Zweiten Weltkriegs habe es „eine Konsensposition“ der arabischen Bevölkerung Palästinas“ gegeben, „die Alliierten gegen die faschistischen Achsenmächte zu unterstützen“.

Falsche, relativierende Wertungen über die Haltung der Palästinenser zum NS-Regime sind bei Wildangel nicht die Ausnahme, sondern die Regel. So behauptet er zum Beispiel auch, „große Teile der arabischen Bevölkerung“ hätten ihrem Anführer Husseini die Gefolgschaft aufgekündigt, als dieser 1941 in Nazideutschland Exil fand. 1945 sei die Popularität des Palästinenserführers deshalb „auf dem Tiefpunkt“ angekommen. Schon „im Herbst 1944“ sei „längst klar“ gewesen, „dass Amin el-Husseini weder Einfluss nehmen konnte noch aufgrund seiner intensiven Kollaboration mit der Achse nach dem Krieg vor Ort eine politische Rolle spielen würde.“(*11)

Damit stellt sich allerdings die Frage, wieso der angeblich „diskreditierte“ Großmufti unmittelbar nach Kriegsende wieder zum obersten politischen Repräsentanten der Palästinenser aufsteigen, 1947 von der arabischen Liga in dieser Funktion bestätigt werden und 1948 in Gaza zum Präsidenten des palästinensischen Nationalrates gewählt werden konnte. Wildangel umgeht diesen Widerspruch, indem er die Nachkriegskarriere Husseinis schlichtweg verschweigt.

Kein Wort verliert Wildangel auch darüber, dass Husseini 1947 von Ägypten aus erneut zum „Vernichtungskrieg gegen die Juden“ aufrufen konnte. Als Kommandeur der von der Arabischen Liga aufgestellten „Errettungsarmee“ stand Husseini dabei mit Fawzi al-Kaikji ein Gefolgsmann zur Seite, der sein Handwerk von 1941 bis 1945 ebenfalls in Nazideutschland gelernt hatte. Auch Jassir Arafat, der 1964 die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) gründen sollte, gehörte schon 1947 zu Husseinis „Kämpfern“ und nahm 1974 an dessen Beerdigung in Beirut teil. Noch in seinem letzten Interview für das deutsche Fernsehen, das Husseini im Jahre 1964 einem WDR-Reporter gab, hatte sich dieser ausdrücklich und völlig ungeniert für die freundliche Aufnahme durch die Nazis bedankt und erklärt: „Während meines Deutschlandaufenthaltes in den Kriegsjahren erfuhr ich von den Deutschen jede Gastfreundschaft und eine ausgezeichnete Behandlung, eine Sache, an die ich mich immer erinnere und die ich sehr geschätzt habe.“(*12)

Fakten wie diese zu ignorieren, hat unter deutschen IslamwissenschaftlerInnen und ArabistInnen System, nicht nur bei René Wildangel, dem die Universität Köln für seine Geschichtsklitterungen einen Doktorhut verlieh und der inzwischen als Nahost-Referent für die Bundestagsfraktion der Grünen arbeitet.

„Ein Feind der Juden“

Kein ZMO-Mitarbeiter hat jemals ernsthaft die Frage aufgeworfen, welche Folgen es für den Nahost-Konflikt hatte, dass ein Nazikollaborateur wie Husseini nach 1945 der einflussreichste palästinensische Politiker blieb und dass mit Jassir Arafat einer seiner Gefolgsleute seine Nachfolge antrat. Auch dass Arafat seinen Mentor Husseini noch im Jahre 2002 als palästinensischen „Helden“ bezeichnete (*13), ist Palästinaexperten wie Wildangel „nicht bekannt“.

Nicht einmal die Tatsache, dass Husseini nach 1945 weiterhin enge Kontakte zu deutschen NS-Verbrechern unterhielt, die im Nahen Osten untergetaucht waren und diesen neue Betätigungsfelder etwa beim Aufbau des ägyptischen Polizeiapparates vermittelte, ist für hiesige ArabistInnen und IslamwissenschaftlerInnen ein Thema. Darauf hinzuweisen, blieb kritischen JournalistInnen und HistorikerInnen überlassen. Sie deckten auf, dass zu Husseinis Freundeskreis nicht nur der Arzt des Konzentrationslagers Buchenwald, Hans Eisele, Hitlers Bankier François Genoud und der Goebbels-Vertraute Johannes van Leers gehörten, sondern auch der Eichmann-Stellvertreter Alois Brunner, der für die Ermordung von 120.000 Juden verantwortlich ist.

Georg Hafner und Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk sind den Spuren des Massenmörders Brunner gefolgt und fanden heraus, dass er mit Hilfe Husseinis in den 1950er Jahren in Syrien untertauchen konnte: „Der Großmufti rät ihm, nach Damaskus zu gehen, wo er gute Freunde habe, die ihm schon weiterhelfen würden. Die Familie Husseini hatte bereits in einer Wohnung in Damaskus Franz Stangl, den Kommandanten von Treblinka, untergebracht, und wo einer Platz hat, ist auch Platz für zwei, wird sich der Großmufti gesagt haben. Dass Brunner ein Kriegsverbrecher ist, war in den Augen seiner Helfershelfer nicht von Nachteil, denn ein Feind der Juden ist unser Freund, das war ein geflügeltes Wort in dieser Region.“(*14)

Kurzes Fazit in vier Sätzen:

1. Wer Vernichtungskriege und den Holocaust billigend in Kauf nahm, wie es viele Kollaborateure taten, trägt Mitschuld daran.

2. Wer Kollaborateure verteidigt, verhöhnt ihre Opfer.

3. Auch im antikolonialen Befreiungskampf widerspricht es jeder der Freiheit verpflichteten Strategie, mit Faschisten Zweckbündnisse einzugehen.

4. Daran zu erinnern, ist vielen hierzulande aufgrund ihrer aktuellen Positionierung im Nahost-Konflikt so unangenehm, dass sie fast schon reflexartig jeden Versuch abzuwehren versuchen, dieses Thema zur Diskussion zu stellen – die Reaktion der Berliner Werkstatt der Kulturen auf die Tafeln zur Kollaboration in unserer Ausstellung beweist dies nur einmal mehr.

*1: Neruda, Pablo: Ich bekenne, ich habe gelebt. Darmstadt/ Neuwied 1974. S. 125

*2: Finkelgruen, Peter: Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung. Hamburg 1999. S. 195 f.

*3: Satloff, Robert: Among the Righteous. Lost Stories from the Holocaust’s long reach into Arab Lands. New York 2006. S. 173 f.

*4: Mallmann, Klaus Michael; Cüppers, Martin: Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina. Darmstadt 2006. S. 43

*5: Odermann, Heinz: Taktik gewinnt Schlachten – Strategie des Krieges. Zu einigen Aspekten der deutschen Nahost- und Nordafrikapolitik und -propaganda (1940-1942). In: Schwanitz, Wolfgang (Hg): Jenseits der Legenden. Araber, Juden, Deutsche. Berlin 1994. S. 105.

*6: Kuhlmann, Jan: Subhas Chandra Bose und die Indienpolitik der Achsenmächte. Berlin 2003. S. 94 f.

*7: ADAP 1918-1945, Serie D, Vol. 7, S. 172. In: Wild, Stefan: National Socialism in the Arab East between 1933 and 1939. In: Die Welt des Islam. 25, 1985. S. 140

*8: Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zit. nach: Kuhlmann, Jan, a.a.O. S. 38

*9: Wildangel, René: Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus. Berlin 2007. S. 50

*10: Ebd. S. 128 und S. 173 ff.

*11: Ebd. S. 364

*12: Die zitierten Passagen aus dem WDR-Interview mit Husseini wurden in der empfehlenswerten Fernsehdokumentation „Halbmond und Hakenkreuz – Der Großmufti von Jerusalem und sein Erbe“ von Klaus von Münchhausen und Rainer C. M. Wagner am 20.10.1995 im Süddeutschen Rundfunk noch einmal ausgestrahlt.

*13: Al Quds, palästinensische Tageszeitung, vom 2.8.2002. In: Palestinian Media Watch (www.pmw.org.il/bulletins-050802.html)

*14: Hafner, Georg M., Schapira, Esther: Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist. Reinbeck bei Hamburg 2002. S. 268

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