Zusatzveranstaltung zum Begleitprogramm in Berlin
Redebeitrag am 18. September 2009 in der Zusatzveranstaltung zur Ausstellung in den Uferhallen (Berlin-Wedding)
Guten Abend.
Ich freue mich über das große Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Nazikollaborateure in der Dritten Welt, das rund um die Ausstellung hier in Berlin so viele, teilweise reichlich absurde Debatten provoziert hat.
Bitte gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen, da dies mein letzter Auftritt bei einer Veranstaltung im Begleitprogramm zur Ausstellung hier in Berlin ist. Am Sonntag biete ich um 13. Uhr zwar noch eine Führung durch die Ausstellung an, zu der Sie herzlich eingeladen sind, und natürlich bleibe ich auch noch bis zur Deutschland-Premiere des Hiphop-Tanztheaters „Die vergessenen Befreier“ am Sonntagabend, das wir eigens für diese Ausstellung übersetzt und mit Obertiteln versehen haben. Bitte helfen Sie mit, dass die Aufführung im Haus der Berliner Festspiele am Sonntagabend ein Erfolg wird. Denn dies würde die Vermittlung dieser grandiosen Hiphop-Hommage an die Kolonialsoldaten auch in andere Städte sehr erleichtern.
Da dies mein letzter Auftritt hier in den Uferhallen ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch einmal sehr herzlich allen Helferinnen und Helfern zu danken, die mit enormem Einsatz und Engagement die Präsentation der Ausstellung und der Begleitveranstaltungen hier möglich gemacht haben. Das waren Helferinnen und Helfer von AfricAvenir, der Berliner BUKO-Gruppe, d.h. der Bundeskoordination Internationalismus, und des Koreaverbandes, denen wir auch den eindrucksvollen Thementag am letzten Sonntag über die japanischen Kriegsverbrechen gegenüber Frauen in Asien zu verdanken haben. Ihnen allen gilt unser aufrichtiger Dank.
Wir werden nach dieser Veranstaltung auf diese Zusammenarbeit vorne an der Bar anstoßen und sie alle können dort mit uns und untereinander etwa ab 22 Uhr Diskussionen und Gespräche fortzusetzen. Der Barmann freut sich jedenfalls, wenn seine Theke, die er heute eigens für uns öffnet, nachher gut frequentiert wird.
Bevor ich zum eigentlichen Thema des heutigen Abends komme, erlauben Sie mir bitte, hier auch noch einmal öffentlich zu all den gezielt lancierten und über manche Medien verbreiteten Anschuldigungen, Falschmeldungen und Unterstellungen Stellung zu nehmen, mit denen wir seit unserer Ankunft hier in Berlin konfrontiert waren.
Wie Sie alle wissen, sollte diese Ausstellung ursprünglich in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln gezeigt werden. Sie beruht auf unserem Buch zum Thema, das schon 2005 erschienen ist, die Unterrichtsmaterialien mit diesem Titel liegen seit 2008 vor. Das Ausstellungskonzept wurde im Januar 2009 auf einem Workshop in Köln diskutiert und festgelegt – in Anwesenheit unserer Berliner Kooperationspartner von AfricAvenir. Und seitdem hat sich an der Gliederung der Ausstellung und der Aufteilung der Tafeln nichts mehr geändert. Alle Kapitel, also auch die zu Judenverfolgung außerhalb Europas und Kollaboration, standen seitdem in allen Details fest und dies war auch der Werkstatt der Kulturen seitdem bekannt. Ich selbst habe der Leiterin Philippa Ebéné unsere Publikationen, die als Kataloge dieser Ausstellung dienen, nach dem Treffen im Januar zugeschickt.
Trotzdem wurde auch diese Woche in manchen Zeitungen und in vielen Internetbeiträgen der Eindruck erweckt, es hätte Kommunikationsprobleme und Missverständnisse zwischen Philippa Ebéné und unseren Berliner Kooperationspartnern von AfricAvenir gegeben und angeblich nie eine direkte Kommunikation zwischen ihr und uns. Ich möchte die so umschriebenen Vorwürfe gegenüber AfricAvenir hier noch einmal ausdrücklich zurückweisen, weil ich selbst das Ausstellungskonzept in allen Details im Mai bei vier Veranstaltungen in Berlin vorgestellt habe und bei einer, am 25. Mai im Haus der Demokratie, saß die Leiterin der Werkstatt der Kulturen, Philippa Ebéné neben mit auf dem Podium. Ich habe ihr Mustertafeln gezeigt, die komplette Gliederung übergeben und bei einen anschließenden Treffen in einem Kreuzberger Restaurant auch das iz3w-Schwerpunktheft zu Nazikollaborateuren aus der Dritten Welt überreicht mit dem expliziten Hinweise, dass dieses Thema auch in einem Unterkapitel in der Ausstellung vorkommen werde.
Weder zu diesem noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt hat Philippe Ebéné irgendetwas bei uns bestellt, wie sie bis heute allenthalben fälschlicherweise behauptet, schon gar keine unhistorische Heldenverehrung oder Hommage an People of Coulour im Zweiten Weltkrieg. Vielmehr konnten AfricAvenir und die Werkstatt der Kulturen – so wie Initiativen in vielen anderen Städten – lediglich entscheiden, ob sich unsere Ausstellung, die auf Recherchen über zehn Jahre in 30 Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens beruht, buchen wollten oder nicht.
Warum es Frau Ebéné ein halbes Jahr offenbar nicht für nötig hielt, sich mit den Inhalten dieser Ausstellung zu beschäftigen, wissen wir nicht.
Fest steht allerdings, dass es dann drei Tage vor unserem Ausstellungstransport nach Berlin definitiv und ausschließlich die vier Tafeln über arabische Nazikollaborateure waren, deren Präsentation in der Werkstatt der Kulturen Philipp Ebéné im Zweifel per Hausrecht verhindern wollte. Ich betone dies deshalb, weil dieser Hauptgrund seitdem immer wieder geleugnet, angezweifelt und in Teilen der Presse bestritten wurde, z.B. in der Taz, die sich nicht einmal scheute, als Beleg falsche Zitate von mir zu präsentieren.
Unsere Kooperationspartner von AfricAvenir, die hier vor Ort die wenig beneidenswerte Aufgabe hatten, mit Frau Ebéné verhandeln zu müssen, haben bei dem sogenannten Vermittlungsgespräch, zu dem der Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Günter Piening, am 28. August geladen hatte, eindeutig bezeugt, dass die Tafeln zu arabischen Nazikollaborateuren und Kriegsverbrechern der Stein des Anstoßes waren. Erst später kam dann der Vorschlag, wohl weil’s zu peinlich gewesen wäre, nur die Informationen über arabische Kollaborateure zu zensieren, aber die aus Indien, Thailand, Burma, Indonesien, Argentinen etc. hängen zu lassen, das gesamte Kollaborationskapitel in dieser Ausstellung wegzulassen. Zuletzt war dann die Rede davon, nachzulesen noch diese Woche in Presse und Internetmeldungen, dass insgesamt 18 Tafeln für die Werkstatt der Kulturen unakzeptabel gewesen seien. Damit scheint auch das Kapitel über Judenverfolgung außerhalb Europas für Frau Ebéné inzwischen nicht mehr akzeptabel – denn dieses ergibt mit dem Kollaborationskapitel, exakt 18 Tafeln – was die Zensurversuche der Werkstatt nur noch skandalöser macht.
Zu dem sogenannten „Vermittlungsgespräch“ mit dem Integrationsbeauftragten des Senats, Günter Piening, ist zu sagen, dass das, was dort besprochen wurde, schon obsolet war, sobald wir die Sitzung verlassen hatten. Daran nahmen neben Herrn Piening noch zwei Mitarbeiter seines Amtes teil, das als Institution auch im Vorstand der Werkstatt vertreten ist, eine Vertreterin der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, dem Hauptfinanzier dieser Ausstellung, sowie je zwei Leute von AfricAvenir und von Recherche International. Nur diejenige, die das ganze Zensurtheater ausgelöst hatte, Philippa Ebébé, war angeblich verhindert.
Aber Herr Piening versprach zu Beginn dieser Sitzung ausdrücklich, dass sie alles, was dort vereinbart würde, mittragen würde. Eine Zusage, die schon falsch war, als er sie machte. Eigentlich gab es in Abwesenheit von Frau Ebéné und nach unserem Umzug hier in die Uferhallen auch nichts mehr zu vermitteln. Aber da alle Anwesenden es als Fehler ansahen, die Ausstellung in der Werkstatt der Kulturen nicht zu zeigen, haben wir vorgeschlagen, sie dort zu zeigen und zwar die kleinere, flexible Schulversion, die wir zur allgemeinen Verblüffung noch dabei hatten, weil die Kölner Drucker dieser Ausstellungstafeln von den Texten so beeindruckt waren, dass sie uns eine zweite Schulversion geschenkt hatten (die erste hängt derzeit in einem Gymnasium in Bergheim, das eine Afrika-Projektwoche durchführt).
So wurde – keineswegs auf Initiative, wie von manchen gemeldet, doch mit Zustimmung von Herrn Piening – beschlossen, die Ausstellung im A2-Format auch in der Werkstatt der Kulturen aufzuhängen. Aber Frau Ebéné trug dies keineswegs wie von Herrn Piening angekündigt, mit, sondern holte jetzt erst recht dazu aus, unser Projekt mit allen ihr verfügbaren Mitteln und MitstreiterInnen zu diskreditieren.
Tatsächlich war sie an dem Freitag, an dem das Vermittlungsgesprächs mit Piening stattfand, keinesweg wirklich verhindert. Vielmehr gab sie munter Interviews, in denen sie unsere Ausstellung als rassistisch denunzierte und die u.a. am folgenden Tag in der Taz nachzulesen waren. Dabei wurde auch der Eindruck vermittelt, wir hätten ihr Antisemitismus vorgeworfen, was wir bis heute zu keinem Zeitpunkt und bei keiner Gelegenheit getan haben.
Aber in dieser bizarren Debatte ging es von Anfang an nicht um Fakten, sondern um Stimmungsmache ohne Rücksicht auf Verluste, was sich auch in den Gefälligkeitsadressen widerspiegelte, die Frau Ebéné in ihrem Umfeld mobilisierte. Sie wurden allesamt abgegeben von Leuten, die diese Ausstellung gar nicht gesehen habe konnten. Denn schon vor der Eröffnung am 1. September wurde mit Rassismus-Vorwürfen uns gegenüber zu gleich zwei Pressekonferenzen eingeladen, am 2. September in die Amadeu Antonio Stiftung und am 3. in die Werkstatt der Kulturen. Der Vorsitzenden der Amadeu Antonio-Stiftung, Annetta Kahane, habe ich einen Tag vor der von ihr veranstalteten Pressekonferenz noch eine persönliche Führung hier durch die Uferhallen angeboten, damit sie wenigstens wüsste, was sie da kritisierte – aber dafür hatte sie angeblich keine Zeit.
An einer sachlichen, wenn vielleicht auch kontroversen Auseinandersetzung hatte offenkundig niemand aus dem Umkreis von Frau Ebéné ein Interesse. Ansonsten wäre es in den letzten drei Wochen zumindest zu einer der von Herrn Piening bei dem sogenannten Vermittlungsgespräch vollmundig angekündigten mindestens drei Begleitveranstaltungen oder Podiumsdiskussionen gekommen, die in der Werkstatt der Kulturen zur Ausstellung stattfinden sollten. Wir hatten uns bereit erklärt, daran teilzunehmen und bei dem Treffen mit dem Integrationsbeauftragten mehrere konkrete Termine dafür angeboten. Das war vor genau drei Wochen, aber seitdem haben wir nichts mehr davon gehört.
Es ist bemerkenswert, wie wenig in dieser Stadt Zusagen und Ankündigungen von politisch Verantwortlichen wie Herrn Piening wert sind und es ist bedauerlich, dass auch Initiativen, deren antirassistisches und antifaschistisches Engagement wir schätzen, sich – aus persönlicher Loyalität – dazu bereit fanden, ein Projekt zu diskreditierten, an dem über mehr als zehn Jahre Dutzende Zeitzeugen und Historiker aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien sowie zahlreiche MigrantInnen und Migranten und auch Initiativen und Projekte von schwarzen Deutschen mitgearbeitet haben.
Da wird plötzlich der Begriff „Dritte Welt“ als „rassistisch“ hingestellt und Frau Ebéné scheut sich nicht, in diesem Zusammenhang auf ihren Vater zu verweisen, der ein Mitstreiter Frantz Fanons gewesen sei. Dabei hat eben dieser Frantz Fanon in seinem berühmten Buch „Die Verdammten dieser Erde“ den Begriff „Dritte Welt“ als antikolonialen Kampfbegriff in die internationale Debatte eingeführt. Zitat aus Fanons Schlussfolgerung: „Die Dritte Welt steht heute als eine kolossale Masse Europa gegenüber; ihr Ziel muss es sein, die Probleme zu lösen, die dieses Europa nicht hat lösen können.“ Weiter heißt es dort: „Für die Dritte Welt geht es darum, eine Geschichte der Menschen zu beginnen, die den von Europa einst vertretenen großartigen Lehren, aber zugleich auch den Verbrechen Europas Rechnung trägt.“ usw.
Wir gebrauchen den Begriff „Dritte Welt“ in genau diesem Sinne und verweisen im übrigen in den Einleitungen unserer Bücher wie im Prolog zu dieser Ausstellung darauf, dass Generalisierungen grundsätzlich problematisch sind, was im übrigen auch für den hier in Berlin offenbar völlig unkritisch verwandten Begriff „People of Coulour“ gilt, der weder Gute noch Böse, weder Herrschende noch Beherrschte, weder Diktatoren noch Unterdrückte kennt und auch zwischen Widerstandskämpfern und Kollaborateuren nicht unterscheidet.
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und der Mitgrationsrat Berlin & Brandenburg behaupten in ihren Solidaritätsadressen für Frau Ebéné, wir würden in dieser Ausstellung sämtliche „People of Colour“ als – Zitat – „Drittweltländler“ titulieren, ein Begriff, den ich in diesen Presseerklärung erstmals in meinem Leben gelesen habe und den niemand in irgendeinem unserer Texte finden wird.
Aber auch diese Stellungnahmen wurden bereits vor Eröffnung der Ausstellung verbreitet, die des Migrationsrates sogar angeblich im Namen von 74 Mitgliedsorganisationen, von denen keine einzige die Ausstellung kennen konnte, was die Verfasser nicht davon abhielt, diese schon mal als „kolonialrassistisch“ abzuqualifizieren und Frau Ebéné dafür zu danken, dass sie die – Zitat – „Reproduktion von Rassismus verhindert“ habe.
Tatsächlich wurde ihr Zensurgebaren in manchen Pressemeldungen und Solidaritätsadressen gar als „Widerstand“ bezeichnet, wonach es nicht mehr verwundert, dass das Verständnis von Widerstand bei einigen hier in Berlin offenbar gründlich durcheinander geraten ist.
Dafür steht auch das von Frau Ebéné immer wieder vorgebrachte Argument, dass auch bei einer Ehrung für den Widerstandskämpfer Stauffenberg niemand gleichzeitig an Kollaborateure erinnern würde. Nun ist das in diesem Falle auch nicht nötig, da Stauffenberg und seine Gefolgsleute selbst lange Jahre überzeugte Nazis und Unterstützer des deutschen Vernichtungskriegs gewesen waren, bevor sie – als die deutsche Niederlage unabwendbar war – die Seite wechselten. Wer Geschichte nicht als nationale Gedenkveranstaltung versteht, hat schon immer daran erinnert, zumal hinter der Ehrung Stauffenbergs hierzulande die Würdigung des Widerstandes von Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und natürlich und überall auch von Juden stets zu verblassen drohte.
Historisch noch grotesker ist das kürzlich in der Debatte nachgeschobene Argument, dass auch in Frankreich bei der Erinnerung an die Résistance niemand gleichzeitig an Kollaborateure erinnern würde. Tatsächlich entstand der gesamte Widerstand des Freien Frankreich als Reaktion gegen die Kollaborationsregierung von Vichy und ohne Verweis darauf weder darstellbar noch verständlich. Schließlich haben die französischen Widerstandstruppen und die Vichy-Kollaborateure vielerorts sogar gegeneinander Krieg geführt, so in Dakar, Nordafrika, Madagaskar, Syrien und Libanon, übrigens stets unter Einsatz afrikanischer Kolonialsoldaten.
Wer sich also mit der Geschichte der französischen Kolonialsoldaten befasst, kommt an dem Thema Kollaboration schlechterdings nicht vorbei, weil die französischen Widerstandshelden überall gegen französische Kollaborateure gekämpft haben. Auch das Hiphop-Tanztheater „Die vergessenen Befreier“ von MigrantInnen aus Straßburg erinnert deshalb nicht nur an afrikanische Resistance-Kämpfer, sondern auch an die Vichy-Kollaborateure, gegen die diese angetreten mussten, so wie auch – um noch ein paar prominente Beispiele zu nennen – Ho Chi Minh in Vietnam und Frantz Fanon in der Karibik gegen die Vichy-Kollaborateure in den Krieg gezogen sind und Mao Tse Tung in China sowie Gandhi und Nehru in Indien gegen Kollaborateure auf Seiten Japans.
Damit sind wir bereits mitten im Thema des heutigen Abends, wobei ich, um allen Missdeutungen vorzubeugen, hier ausdrücklich noch einmal betone, dass auf allen Kontinenten zweifellos mehr Menschen gegen Naziterror, Faschismus und japanischen Großmachtwahn gekämpft haben als an der Seite Deutschlands, Italiens und Japans. Das spiegelt sich auch in den kontinentalen Hauptkapiteln unserer Ausstellung sowie in den Hör- und Videostationen dazu wider.
Aber es entspricht der historischen Redlichkeit neben alledem nicht zu verschweigen, dass es in zahlreichen Ländern der Dritten Welt auch faschistische Bewegungen gab und internationale Netzwerke, in denen diese zusammen arbeiteten.
Diese Kollaboration rund um den Globus hat die Befreiung der Welt vom Naziterror und vom japanischen Großmachtwahn wesentlich erschwert und verzögert. Und die Folge davon waren Millionen zusätzliche Opfer, die es ohne Kollaboration nicht gegeben hätte.
Es wäre zweifellos eine lohnenswerte lokalhistorische Forschungsarbeit, das Wirken der Kollaborateure, die von 1933 bis 1945 allein hier in Berlin agierten, einmal im Detail zu untersuchen. Die Nazis stellten ihnen nicht nur Geld und technische Hilfsmittel für ihre in vielen Sprachen und in alle Welt verbreitete faschistische Propaganda per Radio oder Flugschriften zur Verfügung, sondern auch Büro- und Wohnhäuser, nicht selten Häuser, aus denen ihre jüdischen Vorbesitzer kurz zuvor vertrieben worden waren. Die Kollaborateure berührte dies alles ebenso wenig wie die Verfolgung jeglicher politischer Opposition und die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Berlin, die sie hier in der Stadt miterlebten.
Im Gegenteil. Der Palästinenserführer Hadj Amin el-Husseini z. B. appellierte, wie auf einer unserer Ausstellungstafeln nachzulesen ist, am 2. November 1943 bei einer Rede im „Islamischen Zentral-Institut zu Berlin“ an die gesamte arabische Welt, dem Beispiel Nazideutschlands zu folgen und eine – Zitat – „endgültige Lösung… für die jüdische Gefahr (zu) finden“ und alle Juden „aus allen arabischen und mohammedanischen Ländern“ zu vertreiben.
Die faschistische „Internationale“
Die deutschen Nationalsozialisten gingen beim Aufbau ideologischer Außenposten in aller Welt zweigleisig vor. Zum einen spannten sie die im Ausland lebenden Deutschen für ihre Ziele ein und gründeten rund um den Globus Auslandsorganisationen der NSDAP – NSDAP-AO genannt.
Zum anderen schlossen sie Bündnisse mit politischen Gruppierungen und Regierungen, die mit dem Faschismus sympathisierten und den deutschen Krieg gegen die Alliierten unterstützten.
Allein in Lateinamerika lebten in den 1930er Jahren etwa eine Millionen Deutschstämmige, von denen die große Mehrheit mit den Nazis sympathisierte. Vor allem in Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien bedienten sich die Nazis eines weit verzweigten Netzes deutscher Vereine, Einrichtungen, Schulen und Kirchengemeinden. Lokale Naziorganisationen waren in vielen südamerikanischen Staaten bereits 1931 entstanden (in Paraguay schon 1929). Die NSDAP-AO sorgte ab 1933 dafür, dass sämtliche Institutionen der Auslandsdeutschen gleichgeschaltet wurden. In den deutschen Schulen wurde faschistisches Gedankengut gelehrt, jüdische Kinder wurden der Schule verwiesen, und wo Eltern, wie in Buenos Aires, dagegen protestierten, drohten die Nazibehörden in Berlin, die finanziellen Zuschüsse zu streichen. „Überall bildeten sich kleine Gruppen, die, als Stoßtrupps verkleidet, den Arm zum faschistischen Gruß erhoben“, schrieb Pablo Neruda über die Nazis in Chile. „In jenen Tagen der dröhnenden Hitlersiege musste ich mehr als einmal Straßen eines südchilenischen Dörfchens oder Städtchens zwischen wahren Wäldern von Hakenkreuzfahnen überqueren.“ 1
Die NSDAP-AO und der hier in Berlin ansässige Verein für das Deutschtum im Ausland koordinierten Aktivitäten dieser Art in aller Welt. So hetzte ihre Zweigstelle in Ägypten gegen die „Judenhochburg“ Alexandria. Im so genannten Hansa-Klub in Kairo hielten deutsche Referenten Vorträge über das „Judentum“ und „südarabische Rassenfragen“. In Shanghai gründeten deutsche Geschäftsleute eine Ortsgruppe der Nazipartei, und eine „Arier-Union“ rief zum „Boykott jüdischer Geschäfte“ auf. Vertreter des NS-Regimes veranlassten die japanischen Besatzer der chinesischen Hafenstadt dazu, Zehntausende jüdische Flüchtling in Shanghai in ein Ghetto einzuweisen und sie wollten ihren Vernichtungswahn auch noch dort, am anderen Ende der Welt, umgesetzt sehen. So schlugen sie Japans Militärs vor, die jüdischen Flüchtlinge entweder auf einer vorgelagerten Insel verhungern zu lassen, mit manövrierunfähigen Schiffen im Meer zu versenken oder – wie manche Quellen sagen – eine Gaskammer zu bauen, um sie zu ermorden.2
Aber so grausam Japan ansonsten seinen Krieg in China auf führte, den eliminatorischen Antisemitismus Nazideutschlands und der örtlichen NS-Funktionäre in Shanghai exekutierte es nicht.
Noch im fernen Australien feierten deutsche Einwanderer in ihren Clubs den „Nationalen Tag der Arbeit“ und „Führers Geburtstag“. Nazi-Redner konnten „mit freundlicher Unterstützung“ des australischen Außenministeriums den Kontinent bereisen und Propagandafilme wie „Deutschland Erwache“ vorführen. Dem Schriftsteller Egon Erwin Kisch wurde hingegen 1934 die Einreise zu einem antifaschistischen Kongress in Melbourne verwehrt.
Nicht nur die Auslandsdeutschen, auch manche Regierungen sympathisierten mit den faschistischen Regimes in Europa und zeigten sich von der autoritären Staatsführung sowie den militärischen „Erfolgen“ der europäischen Kriegstreiber begeistert. In Lateinamerika z.B. übernahmen Nationalpopulisten wie der Brasilianer Getulio Vargas und der Argentinier Juan Domingo Perón Elemente faschistischer Herrschaft wie Führerkult, Massenaufmärsche und die korporative Einbindung der Gewerkschaften. Die meisten Regierungen Lateinamerikas brachen ihre diplomatischen Beziehungen zu Nazideutschland erst nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, dem japanischen Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der USA im Jahre 1941 ab, zumeist erst auf massiven Druck der US-Regierung. Chile und Argentinien unterhielten noch bis 1943 bzw. 1944 enge Kontakte zum NS-Regime.
Statthalter in französischen Kolonien
Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Nordfrankreich unterzeichnete die in Vichy amtierende Kollaborationsregierung unter Marschall Philippe Petain im Juni 1940 einen Waffenstillstandsvertrag, der dem NS-Regime auch die Ausbeutung der französischen Kolonien zusicherte. Deutsche Offiziere kontrollierten dies vor Ort (der Film „Casablanca“ erinnert daran). In Westafrika, Madagaskar und Nordafrika kontrollierten Anhänger Petains die Kolonialadministration und setzten dessen antisemitische Gesetze rigoros um. Für rund 500.000 nordafrikanische Jüdinnen und Juden bedeutete dies gesellschaftliche Ächtung, Ausplünderung und Verfolgung.
In Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen unterhielten die deutschen, französischen und italienischen Faschisten mehr als einhundert Arbeitslager, in die neben politischen Oppositionellen und Deportierten aus Europa auch Tausende Jüdinnen und Juden verschleppt wurden. Als Wachpersonal und Folterer volontierten Einheimische. Der US-Historiker Richard Satloff schreibt dazu in seinem Buch über „the Holocausts long reach into Arab lands“: „Zahlreiche Berichte von Augenzeugen belegen, dass arabische Soldaten, Polizisten und Arbeiter zu allem bereit waren – manchmal in wesentlichem, manchmal in geringerem Maße – um nach dem Vorbild der Judenverfolgung in Europa auch gegen das nordafrikanische Judentum vorzugehen (…) Von den Außenbezirken Casablancas bis in die Wüstengegenden südlich von Tripolis dienten Araber überall als Wächter und Aufseher in den Arbeitslagern“.3
Auch einige der führenden Honoratioren und wohlhabenden Familien in Algerien sahen in Marschall Petain einen „ehrenwerten Herrn“. In Westafrika zeigten sich Dorfchefs – nicht selten gegen Bezahlung – bereit, die Vichy-Behörden bei der Rekrutierung von Kolonialsoldaten zu unterstützen.
„Mein Kampf“ im Nahen Osten
Im Nahen Osten sympathisierten nicht nur bedeutende Teile der Bevölkerung, sondern auch höchste Regierungskreise mit den faschistischen Kriegstreibern. Und dies nicht trotz, sondern in vielen Fällen wegen des eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. König Ibn Saud von Saudi-Arabien empfand für Hitler die „größte Hochachtung“. Und Ägyptens König Faruk sandte ihm 1941 die Botschaft, er sei von „starker Bewunderung für (den) Führer und Hochachtung vor dem deutschen Volk erfüllt“, dessen Sieg über England er sehnlichst herbeiwünschte.4
Vielerorts entstanden faschistische Parteien und Nachwuchsorganisationen nach dem Vorbild der Hitler-Jugend, wie die „Syrische Volkspartei“ (1932), das „Junge Ägypten“ (1933) sowie die irakische (1935) und palästinensische Futuwwa (1936). Vertreter dieser Organisationen nahmen an Reichsparteitagen der NSDAP in Nürnberg teil. Zum Teil waren sie persönlich von Baldur von Schirach, dem Führer der Hitler-Jugend, eingeladen worden, als dieser 1937 mit einer Delegation von Damaskus über Bagdad bis Teheran reiste.5 In Ägypten und Marokko, Irak und Libanon kursierten in der Vorkriegszeit Übersetzungen von „Mein Kampf“. Sie waren mit Hitlers Einwilligung um die Passagen gekürzt worden, in denen er seine rassistische Verachtung gegenüber Arabern offenbart hatte.
Auch zu Mussolini, der sich als „Schwert des Islam“ gegen die britischen Kolonialherren anbiederte, unterhielten arabische Führer freundschaftliche Kontakte.
Bei seinen Großveranstaltungen in Rom umgab sich der „Duce“ gerne mit ausländischen Anhängern, die bereit waren, bei seinen Inszenierungen den Hofstaat zu spielen. So reisten zu einem von Mussolini im Dezember 1933 eröffneten Kongress „orientalischer Studenten“ Hunderte Sympathisanten aus Persien, Ägypten und anderen arabischen Ländern sowie aus Thailand, Afghanistan, Indien, Japan und China an. Unter ihnen war der indische Politiker Subhas Chandra Bose, der 1941 nach Berlin fliehen und dort zu den prominentesten Kollaborateuren des NS-Regimes gehören sollte.6
Aufteilung der faschistischen Welt
Nach Kriegsbeginn verständigten sich die faschistischen Achsenmächte darauf, die Welt, die sie erobern wollten, in Einflussbereiche aufzuteilen. Deutschland sollte Osteuropa, den vorderen Orient einschließlich Afghanistans und ein zentralafrikanisches Kolonialreich kontrollieren. Italien beanspruchte die Vorherrschaft in den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers vom Maghreb bis zum Nahen Osten sowie in Ostafrika. Japan wurden die Pazifikregion sowie weite Teile Asiens zugesprochen. Der 70. Längengrad (im Osten des heutigen Pakistan und westlich der indischen Stadt Mumbai) bildete die Grenze zwischen der deutschen und japanischen Hemisphäre. Dort wollten die Streitkräfte beider Länder nach der „Befreiung“ Indiens „vom britischen Joch“ zusammen treffen. In ihren jeweiligen Interessensphären installierten die drei Mächte überall dort, wo sie über die militärische Kontrolle verfügten, Marionettenregierungen. In den Ländern, die noch unter alliierter (Kolonial-)Herrschaft standen, warben sie Kollaborateure für Sabotageakte und Überläufer für ihre Streitkräfte an.
Nazideutschland und Italien verständigten sich darauf, gefangene Kolonialsoldaten untereinander auszutauschen. Das NS-Regime überführte Häftlinge aus dem Maghreb und dem Nahen Osten nach Italien, weil Mussolini eine Arabische Legion aus Überläufern formieren wollte. Italien schickte indische Gefangene nach Deutschland in ein Lager bei Annaberg. Dies sollte Subhas Chandra Bose die Aufstellung einer Indischen Legion der Wehrmacht ermöglichen. Obwohl Hitler und Mussolini jede definitive Zusage verweigerten, den arabischen Ländern und dem indischen Subkontinent nach Kriegsende die Unabhängigkeit zu gewähren, ließen sich Tausende Überläufer bereitwillig in die faschistische Kriegsmaschinerie eingliedern. Im weiteren Verlauf des Krieges wurde diese geographische Arbeitsteilung aufgegeben. Auch die Nazis stellten schließlich eine Arabische Legion auf und vom besetzten Griechenland aus schickte der Sonderstab F (für Felmy) arabische Untergrundkommandos zu Sabotageakten in die britischen und französischen Kolonien des Nahen Ostens.
Mit Hilfe prominenter arabischer Politiker im deutschen Exil wie Hadj Amin el-Husseini aus Palästina und Raschid Ali al-Ghailani aus dem Irak konnte das NS-Regime auch in den Balkanländern und den besetzen Provinzen im Süden der Sowjetunion muslimische Freiwillige rekrutieren: 200.000 Soldaten für die Wehrmacht und Zehntausende für die Todesschwadronen der Waffen-SS in Kroatien, Bosnien und Slowenien. Um ihre muslimischen Kollaborateure bei Laune zu halten, sorgte das NS-Regime dafür, dass sie „nach islamischen Regeln verpflegt“ wurden und die SS richtete mit Hilfe des Palästinenserführers Husseini in Dresden eine „Mullah-Schule“ ein, um die religiöse Betreuung dieser Truppen durch Imame zu gewährleisten. Viele der muslimischen Freiwilligen hielten ihren Nazi-Befehlshabern bis zum letzten Kriegstag die Treue, nicht wenige auch darüber hinaus.
Treueschwüre für Japans Kaise
Auch Japan fand in Asien zahlreiche Kollaborateure, obwohl sich das japanische Versprechen, die europäischen Kolonialherren vertreiben und „Asien den Asiaten“ zurück geben, rasch als Kriegspropaganda erwies, die überall von der Realität widerlegt wurde.
Schon 1910 hatte Japan Korea zu seiner Kolonie erklärt, 1931 besetzten japanische Truppen die chinesische Mandschurei, 1937 diente ein inszenierter Zwischenfall bei Peking als Vorwand für die Invasion des chinesischen Kernlandes, dem die Eroberung weiter Teile Asiens und der Pazifikregion folgte. In den unterworfenen Ländern verübten die japanischen Besatzer zahllose Massaker und trieben Millionen Menschen zu Zwangsarbeit und Kriegsdiensten aller Art. Trotzdem fand auch das japanische Kaiserreich zahlreiche willige Helfer in seinem Krieg zur Etablierung eines „großostasiatischen Reichs“ unter japanischer Herrschaft.
Zu diesen Kollaborateuren gehörten Teile der Elite in Korea, nationalistische Politiker in China, Feudalherren in dem von Vichy regierten Indochina, der Militärherrscher Thailands Phibun Songkram, der ein großer Bewunderer Hitlers und Mussolinis war und sich selbst den Beinamen „Führer“ zulegte, Aung Sang in Burma, der Vater der heutigen Oppositionsführerin Aung Sang Suu Kyi, der es zum Generalmajor in der japanischen Armee brachte, und die Führung der indonesischen Befreiungsbewegung um Achmed Sukarno, der als höchster einheimischer Funktionsträger in der japanischen Besatzungsbehörde arbeitete und noch die indonesische Unabhängigkeitserklärung 1945 im Haus eines japanischen Admirals verfasste.
Ähnlich wie das japanische Regime suchten auch die europäischen Achsenmächte in anderen Kontinenten keinesfalls gleichberechtigte Bündnispartner, sondern Lakaien, die für ein wenig Beteiligung an der Macht bereit waren, sich dem deutschen und italienischen Großmachtwahn gefällig zu erweisen. Dabei sah Hitler z.B. in Arabern „lackierte Halbaffen, die die Knute spüren sollen“.7 Und die Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung waren für ihn „asiatische Gaukler“, weshalb er „als Germane Indien… immer noch lieber unter englischer Herrschaft sehe als unter einer anderen“.8 Aber weder rassistische Tiraden wie diese noch die Vernichtungskriege Japans in China, Deutschlands in Osteuropa und Italiens in Ostafrika konnten die Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte in aller Welt irritieren. Selbst den Holocaust nahmen sie billigend in Kauf, wenn sie sich nicht sogar – wie der Palästinenserführer Husseini – aktiv daran beteiligten.
Umso bemerkenswerter ist, wie durchgängig dieses Thema in der hiesigen Geschichtsschreibung vernachlässigt wird. WissenschaftlerInnen und PublizistInnen hierzulande unternehmen weitaus mehr Bemühungen, das Ausmaß und den Charakter der Kollaboration zu verharmlosen und zu entschuldigen, als diese kritisch aufzuarbeiten und ihre bis weit in die Nachkriegszeit hinein reichenden Auswirkungen zu analysieren.
Dafür seien hier als Beispiele für viele Darstellungen von Kollaborateuren aus Indien, Argentinien und dem Nahen Osten aufgeführt.
Beispiel 1: Indien
Subhas Chandra Bose gehörte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zu den einflussreichsten Politikern Indiens. Im März 1939 wählte ihn der Indische Nationalkongress zum zweiten Mal zu seinem Präsidenten, obwohl sein Gegenkandidat die Unterstützung Mahatma Gandhis und Jawaharlal Nehrus genoss. Anders als diese propagierte Bose nicht nur den bewaffneten Widerstand gegen die britischen Kolonialherren, sondern auch die Zusammenarbeit mit den faschistischen Achsenmächten. Von den Briten unter Hausarrest gestellt, gelang ihm 1941 die Flucht nach Deutschland, wo ihm das NS-Regime hier in Berlin eine Million Reichsmark zur Verfügung stellte, um mit einem Dutzend Helfershelfern eine „Zentrale Freies Indien“ zu gründen und anti-britische NS-Propaganda über Radio in Indien zu verbreiten.
Unter indischen Studenten und Soldaten, die unter britischem Kommando gekämpft hatten und in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, rekrutierte Bose eine Indische Legion für die Deutsche Wehrmacht, die später – etwa 3000 Mann stark – in die Waffen-SS eingegliedert wurde und in Frankreich Jagd auf die Resistance machte.
1943 kehrte Bose – mit einem deutschen U-Boot – nach Asien zurück, um dort 50.000 weitere Freiwillige für seine „Indian National Army“ anzuwerben. Diese sollten mit den japanischen Streitkräften von Burma aus in Indien einmarschieren. Ein Flugzeugabsturz bei seiner Flucht nach Japan im Jahre 1945 verhinderte, dass Bose als Kollaborateur zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Für viele Inder ist er bis heute ein „Held“, insbesondere in seiner Heimatprovinz Bengalen. Dort sind Schulen und Universitäten nach ihm benannt, eine U-Bahnstation und der Flughafen von Kalkutta, es gibt Bose-Denkmäler und eine Partei, die sich auf ihn beruft. Auch hierzulande finden sich deutlich mehr Bewunderer als Kritiker dieses Nazi-Kollaborateurs. In einem Buch über Bose aus dem Jahre 2002, einer Dissertation an der hiesigen Humboldt-Universität, behauptet der Autor Jan Kuhlmann schon in der Einleitung, Bose habe mit den Nazis außer der Feindschaft zu Großbritannien nichts verbunden. Dabei zitiert Kuhlmann selbst zahlreiche Dokumente, die das Gegenteil beweisen. Danach strebte Bose „eine Synthese von Faschismus und Sozialismus“ an, schwärmte für „die militärischen Erfolge der Wehrmacht“ und ließ seine Mitarbeiter den faschistischen Arbeitsdienst sowie die Hitlerjugend studieren, um Anregungen für die zukünftige Organisationsform eines unabhängigen Indien zu sammeln. Trotzdem konnte der „Historiker“ Kuhlmann auch in einer ZDF/arte-Dokumentation im Februar 2007 erneut seine Behauptung verbreiten: „Bose war kein Nazi!“ Diese TV-Dokumentation war ein Skandal, weil darin ausschließlich Anhänger Boses und seine deutschen Kameraden aus der Wehrmacht und der Waffen-SS als Zeitzeugen auftraten, ohne dass ihre Rolle im deutschen Vernichtungskrieg auch nur erwähnt wurde. Nicht ein einziger deutscher oder indischer Kritiker des Kollaborateurs kam zu Wort und selbst die Tatsache, dass Boses Indische Legion Teil der Waffen-SS war, wurde verschwiegen. Dafür durfte der Übersetzer des indischen Waffen-SS-Kommandos, Rudolf Hartog, vom Krieg in Frankreich plaudern wie von einem Abenteuerurlaub: so seien seine indischen Zöglinge von den Franzosen, „die doch unsere Freunde waren“, aus heiterem Himmel beschossen worden und hätten deshalb natürlich zurückschossen. Kein Wort darüber, dass die indischen Nazi-Schergen für Vergewaltigungen und Massaker an der französischen Zivilbevölkerung verantwortlich waren.
Die Auseinandersetzung mit der realen Geschichte der indischen Nazi-Kollaborateure wird hierzulande möglicherweise deshalb gescheut, weil Angehörige von Boses Legion in der Nachkriegszeit als indische Botschafter nach Deutschland zurückkehrten und mit ihren ehemaligen Kameraden von der Waffen-SS, darunter Adalbert Seifriz, Minister für Bundesangelegenheiten in Baden-Württemberg, auch die Deutsch-Indische-Gesellschaft gründeten, die noch 2003, anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens, stolz und ungeniert auf die deutsch-indische Waffenbrüderschaft im Zweiten Weltkrieg verwies – in Anwesenheit des amtierenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Erwin Teufel.
Hier in Berlin lud das Indische Kulturzentrum zu dessen 100. Geburtstag 1996 zu einem großen „Bose-Symposium“, der damalige Außenminister Klaus Kinkel nahm in Indien an einer Ehrung für Bose teil und erinnerte dabei an eine „alte Achse“ und auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung wird der Bewunderer des europäischen Faschismus als „vergessener Held“ gefeiert.
Zu den Folgen der fehlenden Aufarbeitung der Nazi-Kollaboration in Indien gehört, dass dort noch heute Hitlers „Mein Kampf“ in einheimischen Sprachen auf jedem Büchertisch verkauft wird, indische Hindu-Fundamentatlisten sich offen den Nationalsozialismus verherrlichen und sechs von zehn Studenten eines Elite-Colleges in Neu-Delhi af die Frage, welchen Menschen sie am meisten bewunderten, die Antwort gaben: „Adolf Hitler“.
Beispiel 2: Argentinien
Mitte 2006 erschien die deutsche Übersetzung des Buches „Odessa – Die wahre Geschichte der Fluchthilfe für NS-Kriegsverbrecher“. Der Autor, der argentinische Journalist Uki Goñi, hat bei seinen Recherchen festgestellt, dass viele Dokumente zum Thema in Argentinien entweder von der Regierung vernichtet oder unter Verschluss gehalten wurden. Doch in Archiven und argentinischen Botschaften rund um die Welt fand er Belege dafür, dass es während des Zweiten Weltkrieges Anweisungen der argentinischen Regierung gegeben hatte, jüdischen Flüchtlingen Visa und Einreise zu verwehren (exekutiert von antisemitischen Staatsbeamten und Botschaftern), und dass es danach eine organisierte Fluchthilfe für Nazikriegsverbrecher aus Europa gab, an der – neben dem Vatikan – die argentinische Regierung maßgeblich beteiligt war und deren Fäden im Palast des Präsidenten Perón zusammen liefen.
Dass Perón mit dem Nationalsozialismus und Faschismus sympathisierte, steht außer Frage. Trotzdem ist der 1974 gestorbene Diktator für viele in Argentinien bis heute ein Idol. Als seine Gebeine im Oktober 2006 aus einer Familiengruft in ein eigens für ihn errichtetes pompöses Mausoleum überführt wurden, das aus Gewerkschafts- und Spendengeldern finanziert worden war, prügelten sich Tausende Perón-Anhänger mit der Polizei, weil sie den sterblichen Überresten ihres Helden möglichst nahe sein wollten.
Derweil betreiben einige Lateinamerika-Experten hierzulande seit dem Erscheinen von Goñis Buch eine regelrechte Kampagne, um die von ihm zusammen getragenen Fakten als unglaubwürdig und die organisierte Fluchthilfe für Nazis nach Lateinamerika weiterhin als „Mythos“ erscheinen zu lassen.
So veranstaltete die Iberische und Lateinamerikanische Abteilung des Historischen Seminars der Universität zu Köln im Dezember 2006 eine dreitätige „internationale Fachtagung“ über „Argentinien und das Dritte Reich“, zu der Uki Goñi, obwohl zur gleichen Zeit auf einer Lesereise in Deutschland, demonstrativ nicht eingeladen wurde. Nach der Tagung präsentierte der Kölner Professor Holger Meding, der schon in der Kommission der argentinischen Regierung zur Aufarbeitung (sprich: Verharmlosung) der Nazibeziehungen des Perón-Regimes mitgearbeitet hatte, als Fazit in den Medien, dass die Zahl der Kriegsverbrecher, denen die Flucht nach Argentinien gelang, eher gering gewesen sei, die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen dagegen sehr bedeutsam. Die argentinische Regierung habe lediglich versäumt, dies – durch „eine bessere PR-Politik“ (!) – offensiv nach außen zu vertreten.
Im März 2007 legte der pensionierte deutsche Diplomat Heinz Schneppen mit seinem Buch „Odessa und das Vierte Reich“ nach, das die Zeitung „Die Welt“ unter der triumphierenden Überschrift besprach: „Es gab keine ‚Odessa’. Das angebliche krakenhafte Netzwerk von Nazi-Unterstützern hat nie existiert.“
Dass der Autor Heinz Schneppen selbst jahrelang als Botschafter in Paraguay gearbeitet hatte, einem weiteren wichtigen Zufluchtsort für NS-Verbrecher in Südamerika, blieb dabei ebenso unerwähnt wie dass er maßgeblich an der Kampagne gegen die Entscheidung des damaligen Außenministers Josef Fischer beteiligt war, ehemaliger Diplomaten mit NS-Vergangenheit nicht mehr ehrend zu gedenken. Wes Geistes Kind Schneppen ist, offenbarte er mit einer von ihm selbst geschalteten großformatigen Todesanzeige in der FAZ für den ehemaligen SS-Ehrenuntersturmführer und späteren Botschater bei der NATO, Franz Krapf. Diese trug im übrigen die Unterschrift von 120 Diplomaten, darunter funf ehemalige Stattssekretäre und darin hieß es über den verstorbenen und von Fischer nicht geehrten SS-Mann: „Freunde, Kollegen und Mitarbeiter bewahren ihm ein ehrendes Andenken.“
Ein Beispiel von vielen für die Gesinnung derjenigen, die Auseinandersetzungen mit Nazi-Kollaborateuen in der Dritten Welt zu verhindern suchen.
Beispiel 3: Palästina
Im Nahen Osten fanden die Nationalsozialisten besonders viele Sympathisanten, nicht nur wegen ihres Kriegs gegen die Briten, sondern auch wegen der Verfolgung der Juden. Demonstranten in verschiedenen arabischen Ländern feierten die Siege Rommels in Nordafrika, der ägyptische König und seine Offiziere (darunter die späteren Präsidenten Sadat und Nasser) arbeiteten als Geheimagenten für die Nazis, im Irak inszenierten Generäle einen Pro-Nazi-Putsch und in Palästina zeigte sich der oberste Repräsentant der arabischen Bevölkerung, der Großmufti von Jerusalem, Hadj Amin el-Husseini, gegenüber dem Konsul des NS-Regimes schon 1933 begeistert vom Faschismus. Nach einem von ihm angezettelten und von den Nazis gesponserten Aufstand in Palästina und seiner Beteiligung am Putsch im Irak floh er 1941 nach Berlin ins Exil. Von hier aus rekrutierte er arabische Soldaten für die Wehrmacht sowie muslimische Freiwillige für die Waffen-SS und sorgte durch persönliche Interventionen bei der NS-Führung dafür, dass Tausenden Juden aus von der Wehrmacht besetzten Ländern in Osteuropa die Ausreise verweigert wurde und sie in Vernichtungslager deportiert wurden.
Einige historische Wochenschau-Aufnahmen von Husseinis Wirken in seinem Nazi-Exil können wir uns nun gemeinsam anschauen. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einer SWR-Fernsehdokumentation, die 1995 unter demTitel: „Halbmond und Hakenkreuz“ lief.
(Ausschnitt von 15.00 Min. bis 24.30 Min .)
Der Nachkriegskarriere Husseinis haben seine Kriegsverbrechen, seine antisemitischen Hetzreden und seine SS-Funktion nicht geschadet. Im Gegenteil.
Allerdings werden diese Fakten in hiesigen historischen und politischen Debatten und Publikationen ebenso systematisch verdrängt und verschwiegen wie die z.T. bis heute anhaltenden Sympathien für den Nationalsozialismus in vielen arabischen Ländern.
So wurde z.B. auf einer Konferenz des Zentrums Moderner Orient in Berlin (2002) der Nazi-Putsch im Irak, der zum schlimmsten Judenpogrom in der Geschichte des Landes führte, zum „Generationenkonflikt“ umgedeutet. Die Ergebnisse dieser Tagung erschienen (2004) unter dem verniedlichenden Titel „arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus“, so als wären sich ein paar Nazis und Araber auf der Promenade der Zeitgeschichte begegnet und hätten sich zugewunken. Entsprechend fielen auch die meisten Reden auf dieser Tagung aus.
Das Zentrum Moderner Orient publiziete auch eine Sammlung der Reden Husseinis und seiner Briefe an NS-Größen aus den Jahren 1940 bis 1945. Darin erweist sich der Palästinenserführer als militanter Antisemit und Unterstützer der Judenvernichtung, was die deutschen Herausgeber allerdings – Zitat – weder „denunzieren“ noch „dämonisieren“ mögen. Sie wollen lediglich dazu beitragen, „ein nüchternes Verhältnis“ zu diesem „umstrittenen Politiker“ zu finden.
Prototypisch für die skandalösen Geschichtsklitterungen des Zentrums Moderne Orient und anderer in Bezug auf arabische Nazikollaborateure ist die bislang umfangreichste, 2007 publizierte Studie über „Palästina und den Nationalsozialismus“ von René Wildangel.
Zwar muss auch Wildangel eingestehen: „Es ist richtig, dass es in Palästina zwischen 1933 und 1945 Zustimmung und zum Teil sogar Begeisterung für den Nationalsozialismus gab.“9 Aber dann versucht er über 444 Seiten, das Gegenteil zu beweisen und den Nachweis zu erbringen, dass „kritische Stimmen zum Nationalsozialismus“ in Palästina überwogen hätten. Als Belege dafür dienen ihm Artikel aus arabischen Zeitungen, obwohl diese – Zitat – „insgesamt weniger als zehn Prozent“ der palästinensischen Bevölkerung erreichten und „seit 1932“ unter der Zensur der britischen Mandatsmacht standen, die für pro-alliierte Inhalte sorgte.
An den von Wildangel präsentierten Quellen erstaunt deshalb viel eher, wie oft es arabischen Journalisten trotz der britischen Zensur gelang, Hitler und Mussolini-Fotos „auf die ersten Seiten der Zeitungen“ zu hieven, ausführliche Passagen aus „Mein Kampf“, dem NSDAP-Parteiprogramm und Hitler-Reden „ohne Kommentar“ abzudrucken und mehrseitige Beilagen „mit deutschen Propagandafotos“ etwa vom Nürnberger Parteitag zu verbreiten. Und in Berichten arabischer Korrespondenten aus Europa hieß es zum Beispiel: „Hitler ist der Prophet eines Nationalismus, der wahrhaft, treu, lebhaft, aktiv, kämpferisch und aufopferungsvoll ist. (…) Hitler ist der König der Herzen. Nicht nur des Herzens der starken und kraftvollen deutschen Nation, sondern der Herzen aller Aufrichtigen(…) in der ganzen Welt.“10
Obwohl Wildangel selbst auf faschistische Propaganda dieser Art verweist, versteigt er sich zu der Behauptung, während des Zweiten Weltkriegs habe es „eine Konsensposition“ der arabischen Bevölkerung Palästinas“ gegeben, „die Alliierten gegen die faschistischen Achsenmächte zu unterstützen“. „Konsens“ bedeutet laut Lexikon die „Übereinstimmung aller in einer Sache ohne verdeckten oder offenen Widerspruch“, wovon in diesem Zusammenhang natürlich keinerlei Rede sein kann.
Aber falsche, relativierende Wertungen wie diese über die Haltung der Palästinenser zum NS-Regime sind bei Wildangel nicht die Ausnahme, sondern die Regel. So behauptet er zum Beispiel auch, „große Teile der arabischen Bevölkerung“ hätten ihrem Anführer Husseini die Gefolgschaft aufgekündigt, als dieser 1941 in Nazideutschland Exil fand. 1945 sei die Popularität des Palästinenserführers deshalb „auf dem Tiefpunkt“ angekommen. Schon „im Herbst 1944“ sei „längst klar“ gewesen, „dass Amin el-Husseini weder Einfluss nehmen konnte noch aufgrund seiner intensiven Kollaboration mit der Achse nach dem Krieg vor Ort eine politische Rolle spielen würde.“11
Damit stellt sich allerdings die Frage, wieso der angeblich so vollständig „diskreditierte“ Großmufti unmittelbar nach Kriegsende wieder zum obersten politischen Repräsentanten der Palästinenser aufsteigen, 1947 von der arabischen Liga in dieser Funktion bestätigt werden und 1948 in Gaza zum Präsidenten des palästinensischen Nationalrates gewählt werden konnte. Wildangel umgeht diesen Widerspruch, indem er die Nachkriegskarriere Husseinis schlichtweg verschweigt.
Kein Wort verliert Wildangel auch darüber, dass Husseini 1947 von Ägypten aus erneut zum „Vernichtungskrieg gegen die Juden“ aufrufen konnte. Als Kommandeur der von der Arabischen Liga aufgestellten „Errettungsarmee“ stand Husseini dabei mit Fawzi al-Kaikji ein Gefolgsmann zur Seite, der sein Handwerk von 1941 bis 1945 ebenfalls in Nazideutschland gelernt hatte. Auch Jassir Arafat, der 1964 die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) gründen sollte, gehörte schon 1947 zu Husseinis „Kämpfern“ und nahm 1974 an dessen Beerdigung in Beirut teil. Noch in seinem letzten Interview für das deutsche Fernsehen, das Husseini im Jahre 1964 einem WDR-Reporter gab, hatte sich dieser ausdrücklich und völlig ungeniert für die freundliche Aufnahme durch die Nazis bedankt und erklärt: „Während meines Deutschlandaufenthaltes in den Kriegsjahren erfuhr ich von den Deutschen jede Gastfreundschaft und eine ausgezeichnete Behandlung, eine Sache, an die ich mich immer erinnere und die ich sehr geschätzt habe.“12
Fakten wie diese zu ignorieren, hat unter deutschen IslamwissenschaftlerInnen und ArabistInnen System, nicht nur bei René Wildangel, dem die Universität Köln für seine Geschichtsklitterungen einen Doktorhut verlieh und der danach Nahost-Referent der Bundestagsfraktion der Grünen wurde.
„Ein Feind der Juden“
Kein ZMO-Mitarbeiter hat jemals ernsthaft die Frage aufgeworfen, welche Folgen es für den Nahost-Konflikt hatte, dass ein Nazikollaborateur wie Husseini nach 1945 der einflussreichste palästinensische Politiker blieb und dass mit Jassir Arafat einer seiner Gefolgsleute seine Nachfolge antrat. Auch dass Arafat seinen Mentor Husseini noch im Jahre 2002 als palästinensischen „Helden“ bezeichnete13, ist Palästinaexperten wie Wildangel „nicht bekannt“.
Nicht einmal die Tatsache, dass Husseini nach 1945 weiterhin enge Kontakte zu deutschen NS-Verbrechern unterhielt, die im Nahen Osten untergetaucht waren und diesen neue Betätigungsfelder etwa beim Aufbau des ägyptischen Polizeiapparates vermittelte, ist für hiesige ArabistInnen und IslamwissenschaftlerInnen ein Thema. Darauf hinzuweisen, blieb kritischen JournalistInnen und HistorikerInnen überlassen. Sie deckten auf, dass zu Husseinis Freundeskreis nicht nur der Arzt des Konzentrationslagers Buchenwald, Hans Eisele, Hitlers Bankier François Genoud und der Goebbels-Vertraute Johannes van Leers gehörten, sondern auch der Eichmann-Stellvertreter Alois Brunner, der für die Ermordung von 120.000 Juden verantwortlich ist.
Georg Hafner und Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk sind den Spuren des Massenmörders Brunner gefolgt und fanden heraus, dass er mit Hilfe Husseinis in den 1950er Jahren in Syrien untertauchen konnte: „Der Großmufti rät ihm, nach Damaskus zu gehen, wo er gute Freunde habe, die ihm schon weiterhelfen würden. Die Familie Husseini hatte bereits in einer Wohnung in Damaskus Franz Stangl, den Kommandanten von Treblinka, untergebracht, und wo einer Platz hat, ist auch Platz für zwei, wird sich der Großmufti gesagt haben. Dass Brunner ein Kriegsverbrecher ist, war in den Augen seiner Helfershelfer nicht von Nachteil, denn ein Feind der Juden ist unser Freund, das war ein geflügeltes Wort in dieser Region.14“
Kurzes Fazit in vier Sätzen:
1. Wer Vernichtungskriege und den Holocaust billigend in Kauf nahm, wie es viele Kollaborateure taten, trägt Mitschuld daran.
2. Wer Kollaborateure verteidigt, verhöhnt ihre Opfer.
3. Auch im antikolonialen Befreiungskampf widerspricht es jeder der Freiheit verpflichteten Strategie, mit Faschisten Zweckbündnisse einzugehen.
4. Daran zu erinnern, ist vielen hierzulande aufgrund ihrer aktuellen Positionierung im Nahost-Konflikt so unangenehm, dass sie fast schon reflexartig jeden Versuch abzuwehren versuchen, dieses Thema zur Diskussion zu stellen – die Reaktion der Berliner Werkstatt der Kulturen auf die Tafeln zur Kollaboration in unserer Ausstellung beweist dies nur einmal mehr.
1) Neruda, Pablo: Ich bekenne, ich habe gelebt. Darmstadt/ Neuwied 1974. S. 125
2) Finkelgruen, Peter: Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung. Hamburg 1999. S. 195 f.
3) Satloff, Robert: Among the Righteous. Lost Stories from the Holocaust’s long reach into Arab Lands. New York 2006. S. 173 f.
4) Mallmann, Klaus Michael; Cüppers, Martin: Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina. Darmstadt 2006. S. 43
5) Odermann, Heinz: Taktik gewinnt Schlachten – Strategie des Krieges. Zu einigen Aspekten der deutschen Nahost- und Nordafrikapolitik und -propaganda (1940-1942). In: Schwanitz, Wolfgang (Hg): Jenseits der Legenden. Araber, Juden, Deutsche. Berlin 1994. S. 105.
6) Kuhlmann, Jan: Subhas Chandra Bose und die Indienpolitik der Achsenmächte. Berlin 2003. S. 94 f.
7) ADAP 1918-1945, Serie D, Vol. 7, S. 172. In: Wild, Stefan: National Socialism in the Arab East between 1933 and 1939. In: Die Welt des Islam. 25, 1985. S. 140
8) Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zit. nach: Kuhlmann, Jan, a.a.O. S. 38
9) Wildangel, René: Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus. Berlin 2007. S. 50
10) Ebd. S. 128 und S. 173 ff.
11) Ebd. S. 364
12) Die zitierten Passagen aus dem WDR-Interview mit Husseini wurden in der empfehlenswerten Fernsehdokumentation „Halbmond und Hakenkreuz – Der Großmufti von Jerusalem und sein Erbe“ von Klaus von Münchhausen und Rainer C. M. Wagner am 20.10.1995 im Süddeutschen Rundfunk noch einmal ausgestrahlt.
13) Al Quds, palästinensische Tageszeitung, vom 2.8.2002. In: Palestinian Media Watch (www.pmw.org.il/bulletins-050802.html)
14) Hafner, Georg M., Schapira, Esther: Die Akte Alois Brunner. Warum einer der größten Naziverbrecher noch immer auf freiem Fuß ist. Reinbeck bei Hamburg 2002. S. 268